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Schwyz, den 4. Juni 1931

Lieber Alois!

Ein prachtvoller Tag, der Festtag unseres lieben Herrgotts hat sich geneigt, und ebenso schön und erquickend ist der Abend. Da ziehn meine Gedanken in die ferne Welt, um Dir einiges zu erwidern auf den gestern erhaltenen Brief, welchen ich vorerst bestens verdanke. Der Brief für sich würde mich wohl wieder gefreut haben, aber die Bilder, die gefallen mir nicht. Zwar bittest Du ja, nicht etwa misstrauisch zu werden, weil Du schön zwischendrin seiest. Gewiss würde Dir das Zwischendrin sein niemand verargen, aber es scheint, dass Du gar besonders vergnügt seiest bei den Mädels, und nimmt mich nun nicht mehr Wunder, wenn Du wenig Zeit oder Lust mehr 2 hast zum Schreiben. Es ist mir zwar auf einem von den letztjährigen Ferienbildern schon Ähnliches aufgefallen, ohne dass ich jedoch dahinter was gesucht hätt. Und wieder hatte ich seit einiger Zeit Gefühle, als ob in unserem Verhältnis nicht mehr alles sei, wie es war oder wie es sein sollte. Aber solchen Umgang, wie eben die Bilder darstellen, hätt ich Dir zuzumuten nicht getraut, und ich weiss nicht, wie ich das alles zusammenreimen soll. Auf alle Fälle kann das kein Ehrgefühl fördern.

Schau Alois, ich vergönne Dir sicher kein Vergnügen, soweit ehrbar ist, doch hier will ich lieber zurücktreten, als mit geteilter Liebe geniessen und unser bisher riskiertes Verhältnis weiter und kritischer zu unterhalten. Man könnte die Sache 3 ja noch weiter auseinander legen, doch soll das einstweilen genügen. Du magst Dich vielleicht etwas aufregen über diese jedenfalls unerwartete Schreibweise, die meinerseits in aller Ruhe vor sich geht. Und ich rate Dir, vorerst drüber zu schlafen und in ruhiger Überlegung selber zu prüfen, ob Dein Verhalten, angesichts der Bilder übereinstimmt mit den Briefen und unserem bisherigen ernsthaften Verhältnis, und ob ein Mädchen, das lieb und treu zu Dir gestanden, kaum Gefallen finden kann daran. Was Du nun für Wege einschlagen willst, ist vollständig Dir überlassen, mögest Du nur immer unter Gottes Schutz und Schirm wandeln. Wenn Dir aber diese meine Unzufriedenheit zuwider oder ein anderseitiges Verhältnis angenehmer erscheinen sollte, bin ich sofort bereit, aus dem Wege zu 4 gehen und auf Deine Liebe zu verzichten. Ich erwarte jedoch von Dir eine offene, aufrichtige Aussprache, so oder anders und mache mich auf jede Möglichkeit gefasst. Unter solchen Umständen finde ich leider keine Freude mehr an unserem Verhältnis und scheint mir unser erhofftes Glück unerreichbar, obwohl dies schon manchen Verzicht gekostet und ich sonst auch weitere nicht gescheut hätt. Es geschehe nun alles nach Gottes Schutz und Willen. Mögest Du nun, lieber Alois, diese Zeilen aufnehmen wie ich’s geschrieben, nicht in bösem, aber ehrlich und ernstem Sinne, und mich dann eine Antwort baldigst vernehmen lassen. Indem nochmals alles Gott befohlen, sendet Dir in christlicher Liebe viele freundliche Grüsse

                            Cäthy Betschart

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