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Schwyz, den 31. Sept. 1928

Mein lieber Alois!

Endlich will ich auch wieder einmal zur Feder greifen, um Dein lb. Brieflein vom 3. Juni, das ich in Seelisberg erhalten, zu erwidern. Vorerst entbietet Dir herzlichen Dank für dasselbe, es haben mich die tröstlichen Zeilen, wie auch die lb. Bildchen aufrichtig gefreut und ermuntert, und hoffe ich gern, dass Dich Dein Schutzengel auch ferner diese christliche Laufbahn führe, auf der Du Dich gottlob zu befinden scheinest.

Obwohl meine Gedanken alle Tage, ach nein öfters im Tage, zu Dir in die Ferne zogen, musstest diesmal doch gar so lange vergeblich und jedenfalls auch fast unwillig auf Antwort warten. Du wirst mir aber, mein Liebster, dies lange schuldigbleiben eines Briefes verzeihen, da es viel mehr an Zeit und Gelegenheit als an gutem Willen fehlte. Wie Du bereits wissen wirst, war ich wieder in gleicher Stelle wie letzten Sommer, wo es von früh bis spät zu schaffen und kein freies Stündlein gab. Es gereut mich bloss, Dein lb. Brief nicht sofort per Karte kurz erwidert zu haben, aber wie es gehen kann, ich glaubte es zu erzwingen, einmal einen Brief schreiben zu können, musste es aber aufschieben und immer 2 wieder aufschieben und so vergingen Wochen und Monate ohne dem fernen lb. Schatz auch nur gedankt zu haben fürs Empfangene. Es tut mir das sehr leid und kommt mir recht langweilig vor, seinem Allerliebsten gegenüber so stillschweigend zu verhalten. Darf ich dennoch, wie bisher, bald wieder ein Lebenszeichen von Dir erwarten, oder mag sich die treue Liebe in Deinem Herzen inzwischen vermindert haben? Nein, das kann ich Deinem warmen Männerherzen nicht zumuten und ich häts auch nicht verdient, will also annehmen, dass unsere Herzen durchs Band der Liebe beidseitig einander treu und anhänglich geblieben sind.

In Kürze will ich ungefähr schreiben wie ich die Zeit in Seelisberg zugebracht. Mein Tagwerk daselbst dauerte von morgens 6 bis abends 11 Uhr oder noch länger und ständig auf den Füssen. Selten kam man zum Absitzen ausser beim Essen. Im Hause sind etwa 20 Fremdenbetten und noch so viel können während der Hochsaison in Privathäuser verlegt werden. Im Speisesaal können 35-40 Personen platziert werden, hatten aber dies Jahr mehrmals 43-44. Die Köchin macht Frau Truttmann selber und hält sich drei Angestellte, je eines für Küche, Zimmer und Saal. Ich habe Saal, Restaurant und Gartenwirtschaft zu besorgen, wo man mit gar vielerlei kleinen Arbeiten verbunden ist und den Kopf dabei haben muss. Was man am meisten verwünscht, ist das viele Treppen auf- und abspringen, denn Küche und Restaurant befinden sich im 3 Parterre, der Saal im ersten Stock und der Keller auch zu unterst. Man kann schon etliche Male auf und ab bis nur am Morgen jedem einzelnen sein Kaffee in den Saal serviert ist. Dann ist es Zeit, zum dies abräumen, wischen und blochen und gleich wieder Tischdecken fürs Mittagessen. Von da an hilft dann das Zimmermädchen (eine alte Jungfer) auch mit. Da zum Mittagessen jeder Pensionär wenigstens vier Teller braucht, gibt es oft viel Geschirr, welches nach dem Waschen noch schön glänzend gerieben im Saal an Ort und Stelle versorgt sein musste. Da kein Aufzug vorhanden, muss alles so herauf und herunter getragen werden. So ist man beschäftigt und verbunden den ganzen Tag und Sonntag und Feiertag, dann bis man Feierabend hat ist man manchmal nicht mehr sehr „chäg“. Hingegen war die Kost auch sehr gut, dass man schon etwas leisten mochte und wollte ich mich auch des Schaffens gar nicht klagen, wenn man nicht für sich alles so hätte „hocken“ lassen müssen. Aber es ging ja alles vorbei und wird man sich auch denk beim Dienen in solches schicken müssen. Nebenbei brachte der Sommer noch andere Missgeschicke mit sich. So begegnete der Familie Trutmann herbes Leid, indem der lb. Gatte und Vater während der Saison vom unbarmherzigen Tod hinweggerafft wurde, nachdem er zwar mehrere Jahre kränklich, aber nur wenige Tage schwer gelitten hatte. Es war das für alle eine etwas schwere Zeit.

Aufs Schützenfest, worauf ich mich sehr freute, habe ich auch 4 verzichten müssen, teils weil gerade ausgerechnet zu selber Zeit auch mehrere unerwartete Gäste ankamen, teils weil das schwere Schicksal des Herrn Truttmann auch in diese Zeit fiel. Ein einziger freier Nachmittag konnte ich da machen um wenigstens die Festlichkeit einmal anzusehen. Aber damit war mir wenig geholfen, der klingelnde Pollen wäre mir lieber gewesen, aber erzwingen liess sich halt nichts.

Später ereilte mich wieder die Todesnachricht meiner Taufpatin, die ich so gerne aufs letzte Ruheplätzchen begleitet hät, doch weder dazu, noch zu einem anderen Gedächtnis wurde Zeit gewährt. So musste man sich manchem unterziehen, das man anders gewünscht hät, aber daneben hat man gleichwohl auch manchmal gelacht und ist die Zeit doch gut abgelaufen. Nun befinde mich wieder auf meinem alten Posten am Fusse der Mythen und freue mich meines gesunden Befindens.

Nun, was ich Dir immer hab schreiben wollen, vom grossen Besuch aus Amerika. Wenn mir recht ist, habe ich Dir einmal geschrieben von einem Vetter in San Franzisco und dass dieser im Verlauf des Sommers seine Heimat besuchen wolle, was er nun schon ausgeführt hat mit Frau und Tochter und Schwiegersohn. Am 12. Juni führte sie die Bahn ins Schwyzer Heimatdorf und man kann sich das freudige Wiedersehen nach 25 langen Jahren ungefähr denken. In Logis waren sie bei Hebamme Nideröst Tante‘s Mutter. Am 14. Juni, absichtlich noch am Tage bevor ich meine Stelle antreten musste, machten sie den ersten Besuch bei 5 uns im Rätigs und gabs da unaufhörlich zu erzählen und hören. Nachher sahen wir uns nur noch zweimal, nämlich an der Dorfbächlerkilbi erbat der Vetter telefonisch Urlaub für mich in Seelisberg, wo ich dann am Abend mit dem letzten Schiff hin und am Morgen mit dem ersten wieder herfahren konnte. Im Kreise lb. Angehörigen, Verwandten und Bekannten freute ich mich dieses Anlasses sehr, es war schön, viel schöner als am anderen Tage bis zum späten Abend „täfel“ zu sein. Nachher machten sie mir auch einmal einen kurzen Besuch in Seelisberg, dies aber fugst mich heute noch, wie man gerade dann hinten und vorne sein musste und kein vertraulich Wort hät reden können und den liebgewordenen Verwandten, die ja nur das eine und letzte Mal da waren und man sich deshalb lieber mehr abgegeben hät mit ihnen. Leider blieb ihr Aufenthalt in Schwyz auch nicht ungetrübt, denn kaum eine Woche friedlichen Beisammenseins war ihnen gegönnt, da warfs Mutter Nideröst aufs Krankenlager, von dem sie nicht wieder genesen sollte, bis sie nach wenigen Wochen der Allmächtige ins bessere Jenseits abrief. So erlebten sie in den zehn Wochen allerlei, schönes und nicht schönes und wünschten sich wieder gerne heim zu ihren Wohn- und Arbeitsstätten, wo sie nun, laut Nachrichten, nach ziemlich stürmischer (aber da sie Mitglieder der Schweizermusik in S. Fr.), dennoch schöner Überseefahrt am 31. August glücklich gelandet sind und sich wieder wohl und heimisch fühlen.

Mein Liebster! Wie wärs nun, wenn Du diese einmal besuchen und ihnen schöne Grüsse bringen würdest von ihrem „Bäsimaitli“ 6 an Onkel und Tante, sowie auch ans Cousinli und seinen Fred. Du wirst mir ja nicht verargen, dass ich Ihnen von unserem Verhältnis schon angedeutet und sie gefragt hab, obs ihnen nicht ungelegen sei, wenn ein lb. Freund sie besuchen würde, wozu sie gerne einverstanden waren. Wie sie sagten, wär Salinas nicht sehr weit von San Franzisco, aber Patrick Farm ist nach Deinem Schreiben abgelegen. Nun, Du könntest dies gelegentlich machen. Die Adr. heisst: Mrs. Eberhardt Ellswarthstr. 116 San Franzisco. Mehr über ihre Verhältnisse und Reiseerlebnisse werden sie Dir selber erzählen, falls Du dann zu ihnen gehst.

Schnyder Schuler, der mit der gleichen Gesellschaft hergereist ist, ist noch da, wie er sagt bis zum Frühling oder bis er wieder zwegdocktert ist. Habe ihn aber schon solider gekannt als sie.

Am letzten Montag, also an der Viehausstellung, sind wieder ein Trüpplein junger Burschen nach dem reichen Dollarland abgereist. Der „gefällige“ Tag verlief wieder in üblicher Weise, nur Deine Verwandten sah man nicht mehr so viel im Schäfli wie sonst.

So lieber Alois! Die Hauptsache hät ich nun geschrieben und obwohl noch manches etwas näher zu erklären wär, muss sich wieder schliessen, der Brief ist lang genug und sollte ich das nächste Mal auch wieder etwas wissen. Drum Brieflein, flieg nun hin, wo immer ich in Gedanken bin. Nicht zu hoch und nicht zu nieder und bringe recht bald eine liebe Antwort wieder. Verzeih etwa die Flüchtigkeit des Briefes und dass Du so lange warten musstest und in dem ich nochmals herzlich danke fürs Empfangene, hoffe und wünsche Dich recht gesund und glücklich, wie es bei uns auch der Fall ist. Also behüt Dich Gott, liebster Alois. Indem ich Dich vielmal von Herzen grüsse und küsse, verbleibe in christlicher Liebe Dein treue

                            Käthy Betschart

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