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Salinas (Calif), den 3. Juni 1928

Mein liebes Käthy!

Mit freudigem Herzen will ich wieder ein Brieflein für Dich beginnen, um damit Deine lb. Zeilen, die ich vor etwa drei Wochen erhalten habe, zu erwidern. Es haben mich diese, wie auch die hübsche Glückwunschkarte auf Ostern wieder von Herzen gefreut und möchte Dir herzinnigen Dank dafür aussprechen. Wie ich aus Deinem lb. Brieflein ersehe, hat Dich mein letztes Schreiben wieder gesund und munter angetroffen, hattest aber, wie Du schreibst, auf meine Zeilen mit Sehnsucht gewartet. Es ist nun aber auch diesmal wieder fast so lange gegangen.  Man ist eben auch nicht immer so recht zum Brief schreiben aufgelegt. Die englische Schule ist nun diese Woche bis Mitte August geschlossen worden und hat man wieder eher Zeit zum Briefe schreiben. Zeit gehabt hätte man vorher auch am Vormittag, aber da hat man immer lieber das Bett aufgesucht, als Briefe geschrieben. Der Tag vergeht hier wie folgt: morgens halb 2 Uhr auf. Bis zum Morgenessen ist man mit dem Stringen melken 2 gut fertig und kann noch anfangen den Stall putzen. 6 Uhr Morgenessen. Nachher den Stall fertig waschen. Dieser wird am Morgen und Abend nach dem Melken gewaschen mit einem Schlauch. Mist und Gülle gehen durch einen Graben fort, getrennt wird nichts und müssen die Kühe auf dem leeren Zementboden stehen, zu liegen brauchen sie ja nicht, das können sie im Freien genug. So um halb 8 Uhr ist man dann fertig und dann hat man frei bis Mittag oder am 1 Uhr, wo die Arbeit wieder beginnt. Den Vormittag durch ist man gewöhnlich im Bett, mit Ausnahme am Sonntag, wo wir die Kirche besuchen, seit Jos. Tschümperlin ein Auto gekauft hat. Am Abend wird man so bis halb 6 Uhr fertig, am 6 Uhr ist Nachtessen. Am 7:00 Uhr begann dann jeweils die Schule, sie befindet sich etwa 15 km von hier. Man muss da Englisch lesen und schreiben, gesprochen wird kein deutsches Wort. 8 1/2 Uhr ist die Schule wieder aus und dann geht‘s heimwärts, wird aber immerhin so 9 Uhr oder noch mehr bis man daheim ist und man ins Bett kommt. Man hat dann kaum Zeit etwas Süsses von seinem Liebchen zu träumen und dann geht der Wecker schon 3 wieder.

Ich hoffe also gern, lb. Käthy, dass Du dieses begreifen und mir verzeihen wirst, dass ich Dir die Antwort etwas lange schuldig geblieben bin.

Im letzten Brieflein habe ich auch fast den Eindruck bekommen, dass Du Dich etwas ängstigst, ich könnte kälter werden im katholischen Glauben. Ich kann es aber gut begreifen, denn im letzten Briefe habe ich nicht viel geschrieben von der Religion. Ich habe mir aber damals schon fest vorgenommen, im nächsten Briefe einmal etwas mehr vom Glauben in diesem Lande zu schreiben. Es ist das immer eine schwere Sorge für die zurückgebliebenen, wenn ein liebes Glied die Familie und die Heimat verlässt, dass er den Glauben verlieren könnte in diesem Dollarlande. Und die haben auch Grund dazu, denn schon unzählige sind wieder zurückgekehrt und waren kälter oder gar glaubenslos geworden. Will Dir schreiben wie es in diesem Lande in dieser Beziehung ist oder wie ich es wenigstens ansehe. Vorerst will ich festhalten, dass die Amerikaner bei weitem nicht so gleichgültig sind im Glauben wie man in der Heimat glaubt. Aber dann sind sie dann entweder recht 4 oder dann schlecht. Die Melker gehören allerdings mehr zum zweiten Teil. Es bringt das aber auch viel die Arbeit mit sich. An vielen Stellen wird am 6 Uhr angefangen zu melken. Dann ist es allerdings jedem unmöglich die Kirche zu besuchen, denn dann muss einer fast arbeiten bis zum Mittag. Wenn nun einer von der Schweiz kommt, der vielleicht in der Heimat nicht der Frömmste war und vielleicht daheim die Kirche nur fast besucht hat, um nicht in das Gerede der Leute zu kommen (es hat ja genug solche) dann ist einer auf einer solchen Stelle bald verloren. Oft kann einer auch nicht gehen mit dem besten Willen nicht, z.B. bei Scheiber war ich nie in einer Kirche, weil wir eben arbeiten mussten bis fast zum Mittag und auf diesem Platze konnten wir auch lange nicht gehen, weil von denen die gehen wollten keiner ein Auto hatte und Salinas etwa 15 km von uns weg ist. Jos Tschümperlin kaufte dann nur aus diesem Grunde ein Auto und seitdem haben wir die Messe nie mehr versäumt. Mit uns zweien kommen immer noch ein Beeler vom Alpthal und ein Urner. Dass ich Dich dann im Gebete nicht vergesse, wirst Du mir gern glauben. Ich darf Dir aber auch mit gutem Gewissen versichern, dass seit ich das erste Brieflein von Dir erhalten vor dem 5 Einschlafen immer etwas für Dich bete. Ich will mich gar nicht rühmen und mich auch nicht besser stellen als ich bin, aber ich darf Dir ruhig schreiben, dass ich mich vor Dir, mein Liebstes, auch vor dem Herrgott gut verantworten kann.

Im übrigen kann man leider vielen Schweizern nicht gerade ein gutes Zeugnis ausstellen in Sachen Kirchenbesuch. Die einen sagen, sie seien zu müde oder hätten keine Zeit, wenn sie es auch hätten, die anderen meinen, man könne auch ohne Kirchenbesuch grad so gut leben und dann die beste Sorte lächelt oder spöttelt fast lieber über diese Sache. Nun, man muss sie etwa machen lassen und selber wissen, was man zu tun hat. Was die Amerikaner sind, hat es in dieser Beziehung viele sehr gute Katholiken. Man kann in der Kirche viele Leute beobachten, die regelmässig jeden Sonntag die Messe besuchen und dann auch beten, zum Schein gehen da nicht viele, vielleicht hie und da ein schönes Mädchen, das sein neues Kleidchen zeigen will! Die Amerikaner sind eben ganz frei in dieser Beziehung, wer am Sonntag auch die schwerste Arbeit verrichten will, er wird nicht gestraft, oder wer seinem Vergnügen nachgehen will, der geht eben und diejenigen, die die Kirche besuchen wollen, die gehen auch ohne auf andere zu schauen.6

Für heute ist es über diese Sache genug und ich hoffe, dass Du Dir etwa ein Begriff machen kannst von der Religion in diesem Lande und Dich auch wieder etwas ruhiger fühlen wirst in dieser Sache. Auf Dein Brieflein will ich mich nun kurz fassen, sonst wird dieser Brief auch gar in die Länge gezogen. Es freut mich von Herzen, dass Du mit meiner Schwester und auch mit den anderen engere Freundschaft geschlossen hast. Am weissen Sonntag wäre ich auch kaum sitzen geblieben und hätte es auch nicht unterlassen können bei lüpfiger Musik einige Tänze zu tanzen. Mit Deiner Vermutung, dass es am Schützenfest „Gspanä gäb“,  könntest du Recht haben. Es wäre das sicher mein grösster Wunsch einmal einige Stunden bei Dir zu verweilen, aber wir müssen jetzt eben, wie Du schreibst, mit dem darandenken zufrieden sein. Hoffe, dass Ihr dann gutes Festwetter haben werdet. Von Herrn Eichhorn habe ich nichts mehr vernommen, wir sind eben etwa 300 km voneinander entfernt.

Dieses Brieflein wird Dich denk wieder, wie Du schreibst, auf den lieblichen Höhen von Seelisberg antreffen, wo Du auch in strenger Stellung fremdes Brot essen musst. Ich wünsche Dir von Herzen eine recht gute Saison und immer schönes Wetter und was ja immer die Hauptsache ist, vor allem gute Gesundheit wie ich es, was ich gottlob melden kann, immer auch bin. Nimm mir in diesem Brieflein nichts Übel auf und indem ich auch wieder gern einmal einigen Zeile entgegensehe, grüsst und küsst Dich innig Dein treuer

                                  Louis Ehrler

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