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Salinas (Calif), den 27. Okt. 1928

Mein Herzlieb!

Nachdem ich die Schwyzer Zeitung flüchtig überschaut, will ich mich niedersetzen, um in Gedanken ein wenig bei Dir zu verweilen, diese niederzuschreiben und Dir zu übermitteln. Dein lb. Brieflein habe ich vor etwa zehn Tagen erhalten, wie auch das Namenstagskärtchen, welches zum Zeichen treuen Gedenkens schon lange eingetroffen ist. Es haben mich beide von Herzen gefreut und ich möchte Dir herzlichen Dank aussprechen dafür. Das Brieflein hatte ich fast mit Ungeduld erwartet und schon hatte ich einmal etwa zehn Tage vor Erhalt von Deinem lb. Schreiben an einem Brief angefangen, um in Erfahrung zu bringen, warum Du mit Antwort geben so lange zurückhältst. Aber ich habe dann wieder aufgehört zu schreiben, denn ich dachte, es müsse nun doch bald etwas eintreffen und ich wusste ja auch aus Erfahrung vom letzten Jahr, dass Du in Seelisberg sehr wenig, oder gar 2 keine Zeit zur Verfügung hast um Dich mit längeren Liebesbriefen abzugeben. Aber Geduld bringt Rosen und eine solche Rose ist nun doch eingetroffen in Gestalt Deines so lb. Briefes. Noch einmal innigen Dank für diese Zeilen, wie auch für das hübsche Kärtchen, welch beide mir wieder Deine treue Liebe zu mir fühlen liessen und von mir, als Antwort auf Deine Frage, mit derselben Herzlichkeit erwidert sei. Möge diese treue Liebe unsere Herzen immer auf diese Weise erfüllen, bis uns, wenn es der Wille Gottes ist, ein Wiedersehen beschieden ist.

Wie ich aus Deinem Brief ersehe, hast Du einen sehr strengen Sommer hinter Dir. Auch sind Deine Wünsche nicht immer erfüllt worden. Es gibt halt eben viele Unannehmlichkeiten, wenn man in Stellung ist und fremdes Brot essen muss. Ich habe es selber auch schon genügend erfahren. Am Schwyzer Schützenfest habe ich Dich allerdings in Schwyz vermutet und Dich auch oft im Geiste heimbegleitet. Aber statt des fröhlichen Servieren der kranzgeschmückten Schützen und des Tanzes am Abend mit denselben, hättest Du scheint’s eine etwas traurige Woche erlebt. Ich hätte es Dir3 von Herzen gönnen mögen, wenn Dir der Wunsch, den Du auf die Karte geschrieben hattest, in Erfüllung gegangen wäre.

Dein Schreiben über Deine Verwandten, die Dir anlässlich ihrer Schweizer Reise recht lieb geworden zu sein scheinen, hat mich sehr gefreut. Es wird mir auch Freude machen, diese bei passender Gelegenheit einmal zu besuchen um ihnen Dein Grüsslein auszurichten. Als ich Deine Zeilen erhielt, dachte ich allerdings, es könne noch etwa fünf Monate gehen bis ich Deinen Auftrag auszuführen imstande bin. Nun habe ich aber diese Woche von meinem Bruder Jos. einen Brief erhalten, worin er mir mitteilt, dass er am 15. Okt. das Visum holen könne und vielleicht schon im Dez. abreisen werde und uns also ein baldiges Wiedersehen beschieden ist. Möge er dann viel Glück haben in diesem Lande und sich seine Wünsche erfüllen. Ich hätte zwar lieber gesehen, wenn er auf den Frühling gekommen wäre, es wäre dann etwas besser gewesen, als den Winter durch und ich im März oder April 14 Tage Ferien erhalte, im Falle man dann noch hier ist. Ich weiss aber auch, dass einer das Visum nehmen muss, wenn er es bekommt 4 oder überhaupt froh sein muss, wenn man ein solches erhält. Er hat mich auch um etwas Geld gebeten für die Überfahrt, da er noch zu wenig habe, welchem Wunsche ich dann sofort nachgekommen bin. Hoffen wir, dass er dann eine gute Reise hat und gesund und munter am Endziel eintreffen werde auf dessen Wiedersehen ich mich sehne. Ich habe ihm geschrieben, dass er nach Tracy zu Enders fahren soll. Ich hoffe ihn dann am Bahnhof begrüssen zu können und werde dann die Arbeit für 2-3 Tage niederlegen. Vorläufig weiss ich auch noch kein Platz für ihn, vielleicht dass er bei Enders bleiben kann, oder diese etwas wissen für ihn, im anderen Fall wird er dann in San Franzisco etwas von der Reise ausruhen können, was ja die meisten tun, wenn sie in dieses Land kommen. Ich würde ihn dann dorthin bringen und dann bei dieser Gelegenheit die Familie Eberhardt aufsuchen.

Meine Schwester scheint auch schreibmüde geworden zu sein, da schon seit Monaten nichts mehr eingetroffen ist. Ich bin zwar auch nicht viel besser und hatte auch lange nicht mehr geschrieben bis vor etwa fünf Wochen. Erwarte 5 nun täglich Antwort von ihr. Ich weiss nicht, ob sie an der Aussteuer so sehr beschäftigt ist oder ob das „dorfen“ so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass sie keine Zeit findet für ein Brieflein, oder ob überhaupt alles wieder auseinandergefallen ist. Weiss eben gar nichts, da sie mich nicht wissen lässt, was daheim immer etwa vorgeht.

Wie ich durch die Zeitung erfahren habe, ist mir leider wieder eine lb. Cousine gestorben, Käthy Fässler, die Du ja gewiss gekannt hast. Ich hatte gar nicht gewusst, dass dieses lebensfrohe Mädchen, welches ich noch am Sonntag vor meiner Abreise vom Bahnhof Seewen in sein Heim begleitet habe, schon seit Neujahr krank war und es von seinem Krankenlager nie mehr gesund aufstehen sollte. Es sind nun also schon zwei lb. junge Verwandten, die eher alles andere als an den Tod dachten, in so kurzer Zeit gestorben, als ich ihnen die Hand zum Abschied drückte. Wer wird wohl der nächste sein in meiner grossen Verwandtschaft? Der Herr Gott weiss es. Der Todesfall von Käthy dürfte auch Schuld gewesen sein, dass die “Ehrlerig” an der Ausstellung6 nicht so gut vertreten waren im „Schäfli“. Oder vielleicht haben sie sich gebessert und tragen das vorige Geld auf die wirkliche, statt auf die Banalbank, was auch schön wäre.

Ich selber bin immer noch auf dem alten Platz und erfreue mich immer der besten Gesundheit mit Ausnahme der letzten Woche, wo ich mich ziemlich erkältet und dann den Husten und „Pfnüsel“ gekriegt hatte, was nun aber wieder gebessert hat. Das Leben verläuft hier immer so gleichmässig und weisst nicht viel neues, interessantes auf. Die Verwandten habe ich, seit ich hier bin, nie mehr gesehen. Es wäre zwar ein Tanz gewesen in San Jose und ich hätte dort einige treffen können, aber ich lege die Arbeit auch nicht gern nieder und kann man ja dieselben besuchen, wenn man dann Ferien bekommt. Tschümperlin ist auch immer noch hier und weiss immer noch etwa seine Spässe. Mein Liebstes! Ich will nun dieses Brieflein schliessen, zwar nicht ohne Dir vorher auch recht viel Glück und Segen gewünscht zu haben zum Namenstag. Mögen Dich diese Zeilen gesund und munter antreffen und empfange tausend Grüsse und Küsse von Deinem treuen

                                  Louis Ehrler

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