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Lincoln, an Allerheiligen 1927

Lieb Werthe Käthe!

Da meine Gedanken heute mehr denn je in der fernen Heimat weilen, will ich diese auf Papier bringen und sie Dir zukommen zu lassen. Gestern war es ein Jahr, dass ich von Frankreich in das schöne Schwyzertal zurückkehrte und heute vor einem Jahr bin ich mit schwerem Herzen an meinem Mutter Grabe gestanden und hab da geweint wie lange nie mehr zuvor. Galt es doch in einem Monat von der lb. Heimat Abschied zu nehmen um diese für lange Zeit oder vielleicht für immer mit einem fernen fremden Lande zu vertauschen und vielleicht lieber zu verweilen auf dem Fleck Erde, der meine so lb. unvergessliche Mutter selig in ihrem Schosse birgt. Am 24. Juli waren es schon 9 Jahre, dass sie hinausgetragen wurde auf den stillen Friedhof. Bleibe brav und bete alle Tage etwas, hat sie zu mir auf dem Sterbebett gesagt, dann wird es Dir nie schlecht gehen. Ich weiss nicht, hat sie mir die schwere Stunde ihres Absterbens ersparen wollen, sie wünschte einfach, dass ich auf meine Stelle in Küssnacht zurückkehre, trotzdem sie sagte, sie werde mich kaum mehr sehen. Ich habe das nicht geglaubt und ich nahm mit schwerem Herzen von ihr Abschied. Anderntags wurde ich per Telefon zurückgerufen und als ich heim kam, war sie schon mehr als 1 Stunde eine Leiche. Es war das ein harter Schlag 2 für uns zurückgebliebenen. Ich war 15 Jahre, Marie 14 Jahre, drei Brüder mussten noch in die Schule und der jüngste war vier Jahre alt. Aber der Mutter Segen ruhte auf uns und nun sind bis auf den jüngsten alle so weit, dass sie ihr Brot nun selber verdienen können und Gott sei Dank ist bis heute noch keiner schlecht ausgefallen. Ich weiss nicht, ob Du alle Geschwister kennst, Du wirst sie aber mit der Zeit schon etwas kennen lernen.

Nun aber vom anderen. Du wirst mir verzeihen, wenn ich diesmal meiner lb. Mutter selig einige Worte gewidmet habe. Es ist ja heute Allerheiligen, da pilgert ihr hinaus auf den Friedhof, in dem sich vor kurzem wieder ein Grab über einen lb. Verwandten und einer meiner besten Schulkameraden geschlossen hat. Der lb. Cousin möge ruhen in Gottes Frieden.

Deine so lieben umfangreichen Zeilen mit den vier Bildchen habe ich vor 14 Tagen mit grosser Freude und herzinnigem Dank erhalten. Ebenfalls habe ich Dein Kärtchen mit bestem Dank tags darauf als ich meinen letzten Brief abgeschickt hatte, erhalten und gesehen, dass Du mich nicht vergessen hast. Meinen Brief hätte ich dann zurückgewünscht, aber er hat Dich, wie Du geschrieben, doch gefreut. Dein gut gemeinter Wink, dass wir uns später vielleicht einmal besser hinein finden könnten, wenn wir uns in unseren Briefen ein bisschen Zurückhaltung auferlegen, will ich schauen zu befolgen, im Falle ichs kann! Du darfst dann aber nicht etwa meinen, dass ich kälter geworden sei an Dir.3

Deinem Schreiben über den Grund des langen Ausbleibens eines Briefes von Dir kann ich gut Glauben schenken. Du wirst aber meine kleine Ungeduldigkeit in meinem letzten Briefe auch verzeihen. Wenn man so lange nichts mehr von seinem Liebchen erhält, kommen einem eben allerlei Gedanken. Aber unsere zwei letzten Briefe haben uns nun wieder Aufschluss gegeben und unsere Herzen noch eher näher zusammengebracht.

Meine Stelle bei Suter habe ich schon seit fünf Wochen aufgegeben und bin nun seither etwa 45 km nördlich von Sacramento in neuer Stellung. Es gefällt mir nicht gerade schlecht, ich darf denk nicht immer schreiben, dass es mir gut gefällt und dann die Plätze doch bald wieder wechsle. Der Meister ist ein Zlanen, die Leute sind recht und auch die Arbeit gefällt. Ich muss 30 Kühe melken und alles Geschirr waschen, was am Morgen etwa 1 Stunde in Anspruch nimmt. Aber wir zwei Melker und zwei Feldarbeiter haben eine amerikanische Köchin. Bis letzte Woche hat sie gut gekocht. Aber in der letzten Woche hatten wir Anlass zum Klagen. Auf erfolgte Reklamation hat es nun wieder gebessert und das Essen ist wieder recht, aber wie lange können wir nicht sagen. Wenn‘s so bleibt ist‘s recht, sonst packt man wieder zusammen und sucht wieder etwas anderes. Es gibt immer wieder Plätze. Du darfst allerdings nicht meinen, dass ich auf keinem Platz mehr lange sein will oder kann. Einesteils schadets auch nicht die Stellen hie und da zu wechseln, man lernt immer wieder etwas Neues, was einem später einmal von Nutzen sein kann. 4

Aber wenn ich einmal eine Stelle habe, die mir bei längerem Bleiben noch gefällt, werde ich auch wieder besseres Sitzleder haben.

Vor 14 Tagen war Schweizertag in Sacramento. Nach dem Melken am Abend fuhr ein Feldarbeiter mit uns per Auto zum Tanz. Es war recht gemütlich und fast lustiger als am Morgen die 30 Kühe melken nach kaum 1 Stunde Schlaf! Es würde mich freuen, wenn Du mir die Adresse von Deines Vaters Freund von dem Du mir im vorletzten Briefe geschrieben hast, mitteilen würdest. Habe vielleicht einmal Gelegenheit, ihn bei einem solchen Anlass kennen zu lernen.

Seit ich hier bin, bin ich etwas schlecht unterrichtet, was in der Heimat vorgeht. Der Meister hat keine Schwyzer Zeitung. Ich habe aber vor Monatsfrist die Schwyzer Zeitung auch bestellt und werde dann die Geschehnisse in der lb. alten Heimat auch vernehmen.

Möchte Dich noch einmal fragen, wie Du mit meiner Schwester Marie zusammenstehst. Sie hat mir im vorletzten Brief geschrieben, dass ich mich auf die Viehausstellung wohl heim wünschen würde und ich würde dann mit K. wohl einige Restli tanzen. Hast Du ihr einmal etwas gesagt von unserem Briefwechsel? Ich habe noch nie etwas davon geschrieben. Nun will ich aber schliessen, und in der Hoffnung, dass Du nun auch wieder besser Zeit zum Schreiben findest und noch einmal herzlich für das erhaltene danke, schliesse ich dieses Brieflein mit Liebe indem Dich grüsst und küsst Dein ferner treuer

                                  Loius Ehrler

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