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Schwyz Obdorf, den 30. Mai 1929

Mein liebster Alois!

Dein lb. Brieflein habe ich am Montag erhalten und es hat mich wieder recht sehr erfreut. Herzinnigsten Dank für die so wohlgemeinten von Herz zu Herz dringenden Zeilen. Da nun Dein Namenstag bald naht, will ich mich etwas befleissigen um Dich mit einem Brieflein zu erreichen. Gratuliere Dir herzlich zu Deinem Namenstag und wünsche Dir viel Freude, Glück und Segen. Denke daran, dass Dein Liebchen Dir in Gedanken recht nahe stehe und sich mit Dir freut, aber dass es auch Lust hätt, bei dieser Gelegenheit einmal perfekt Deinen Hals zu messen, da gäb‘s dann glaub nichts zu wehren. Also dann ein extra froher Gruss, nen süssen Kuss, sowie allzeits die besten Wünsche.

Und nun, was ich als erstes tun will, ist, auf Deine Frage wahrheitsgetreu Bescheid zu geben. Hätte ich es mündlich machen können, so hättest Du dies alles schon längst vernommen, jedoch zu schreiben habe ich anders genug gehabt. Nun muss ich gestehen, dass ich allerdings ein Moment stutzig wurde, als ich gelesen, dass Du mir zu einer anderen Partie nicht in den Weg stehen wolltest und ich konnte mich auch des Gedankens nicht erwehren, dass Du unsere Bekanntschaft lieber aufgeben 2 möchtest. Je weiter ich aber gelesen, je weniger dürfte ich Dir solches zumuten. Ich fühlte so recht, wie gut Du es meinst und welch grosse Liebe Du mir entgegenbringst, dass ich sie grösser nicht denken könnt. Herzl. Dank nochmals.

Nun kann ich schreiben, dass ich bis jetzt Gelegenheit genug gehabt hätte um Bekanntschaften anzufangen, mit solchen, die mir sonst nicht so übel, und mit solchen, die mir nichts weniger als gefallen hätten. Ich bekenne Dir offen und ehrlich, dass ich nicht so ungrad war, wenn‘s gelegentlich mit einem bekannten Jungburschen etwas zu schwätzen und zu necken gab, oder wenn Nachtbuben etwa vernünftig Einlass begehrten, dann war ich einer schicklichen Unterhaltung auch nicht abhold. Aber das darf ich schon ungeniert sagen, dass ich nie begehrte, irgend ein Liebesverhältnis anzufangen und zu unterhalten, und da eher manche Gelegenheit umgangen bin. Sooft ich aber trotzdem etwa bei diesem oder jenen „auf“ gewesen bin, waren mein Herz und meine Gedanken mehr bei Dir und viel lieber, ja am liebsten hätte ich bei Dir gewacht. Was da etwa gefährdet wurde, könnte ich mit ruhigem Gewissen über alles Rechenschaft geben. Eine harmlose Kurzweil half mir ja über vieles weg, hingegen meine aufrichtige Liebe mit zweien teilen, könnt ich nicht, aber ebenso wenig auch mit Falschheit umgehen. So oft von lieben oder gar heiraten die Rede war, erklärte ich, ich wolle jetzt noch ledig bleiben und mich der 3 schönen Jugend und Freiheit noch freuen, und wenn‘s sein müsse, grad ein altes Maitli werden, und begehre deshalb weder eine Lieb- noch Bekanntschaft. So antwortete ich z.B. vorletzten Winter einem, der mir gestand, er wünschte und er hoffe es auch, bald definitiv an die Post zu kommen und mich zur Frau nehmen zu können. Nun ist er allerdings Pöstler und hätt ja eine schöne Stelle, aber gereuen tut‘s mich heute noch keinenwegs. Letzten Winter oder besser im Herbst wurde ich mit einem Arther Bauernburschen bekannt, dem es dann nicht zu weit war, mich ganz unverhofft unter den Mythen oben aufzusuchen. Zuerst hatte ich ihn allerdings ein bisschen angeschwindelt, da er fragte was der Schatz mache und wo er sei, da sagte ich, ich habe keinen Schatz und brauche keinen, weil ich ein altes Maitli werden woll. Und derartiges noch mehr, er muss von anderen bessere Auskunft erhalten haben, sonst hätte er mich glaub kaum gefunden. Wie es schien, glaubte er, dass ich ohne Schatz sei, aber nicht, dass ich ohne solchen bleiben wolle, und als wir abermals auf diese Rede kamen, meinte er, was ich denn denke, ein altes Mailti werden, das wäre schad und ein langweiliges Leben und wenn meine Brüder einmal mit Frauen kämen, würde ich mich auch weg wünschen. Er wollte doch nicht glauben, dass mir damit ernst sei und als ich sah, dass er‘s doch recht meinte und einer anständigen Antwort würdig sei, gestand ich schliesslich, er solls  mir nicht übel nehmen, ich sei mit einem anderen in Briefwechsel und könne seinen 4 Willen nicht erfüllen. Ähnliches konnte ich auch in Seelisberg erleben. Überhaupt was das anbelangt, wäre ich bis jetzt noch nie in Verlegenheit gewesen, wenn ich das geringste begehrt hätt, was aber nicht der Fall war. Aber ein wenig gefreut hats mich allmählich doch. Nur besonders interessant war auch immer wie andere Leute viel mehr wussten und gerne Reden schwangen, wie zum Beispiel letzten Sommer, wo es scheints geheissen habe, ich wolle mit F. v. T. heiraten, was doch rein erdichtet war. Ich lass zwar nicht gern von mir reden, aber das dünkt mich doch fast lustig, dass man die Leute so warnen kann und niemand Dir rechte Stumpen hat. Aber all das gab einem schliesslich doch immer mehr und weiter zu denken, und war es dann mit der Freude hin, wenn mir unsere so kritische Lage recht deutlich vor Augen kam. Du wirst mir deshalb verzeihen, mein Liebster, wenn ich Dir durch die letzte nähergreifende Schreibweise etwa fast zu zudringlich gekommen bin. Du kannst Dir ja vielleicht selber ein Bild machen, wie es für unsereins ist, in dieser Ungewissheit davon zu leben und eine so riskierte Bekanntschaft zu führen und während dessen solche Gelegenheiten ungeachtet fahren lassen. Wohl glaubte ich ja ohne Zweifel an Deine innige Liebe, die aus allen den so schönen lb. Briefen gesprochen, und die ich gewiss von Herzen gern Dir ebenso entgegenbringe, aber ohne Deine Absichten zu kennen, fiel es mir eben recht schwer, weiter diesem unsicheren Ziele zu zustreben. Nun hat sich ja manches 5 aufgeklärt und ich gestehe aufrichtig, meine Liebe und Anhänglichkeit zu Dir hat sich nichts weniger als nur im geringsten eingebüsst, sondern im Gegenteil, ich weiss nun so recht, was Du mir bist und immer mehr habe ich das Gefühl, Du könntest mir der rechte sein, und zu keinem anderen könne ich solche Liebe und Neigung haben wie eben zu Dir, mein Liebster. Gott hat uns ja auf diesen Weg geführt, und da lass ich nicht ab, solange Du mit Deinen liebtraulichen Briefschreiben mich nicht im Stiche lässest. Doch möcht ich Dir nochmals die Bitte ans Herz legen, dass Du Dir alles gut überdenkst und nicht um meinetwillen irgendwie so handelst, dass es Dich einmal gereuen müsst. Wenn es Dir zum Beispiel besser gefiel, Dein Leben in Amerika zuzubringen und Dir eine Gefährtin zu nehmen, die sich besser in das fügen könnt, wie Du eine solche ja sicher schon finden würdest, dann kann und will ich Dir auch nicht im Wege stehen.

Ich gebe gerne zu, was Du geschrieben, dass es in Amerika für die Frau grad ebenso gut leben ist und weiss auch, dass Vetter Meiris nicht mehr für immer in der Schweiz bleiben möchten, aber die Naturen sind eben verschieden, und ich kann mich in Gottesnamen nicht entschliessen, wenigstens jetzt nicht, den lb. Eltern und der ganzen lb. Heimat mit einem letzten Lebewohl den Rücken zu kehren. Ich sehe ja und hab‘s schon lange gesehen, dass dies eine grosse Spalte vor unserem Glück ist und vieles gewärtigen lässt, und wünsche deshalb sehr, dass Du alles ganz nach  Deinem 6 Wunsch und Willen und zu Deinem späteren Glück einrichtest und es mir ganz ungeniert und offen anvertraust, obs dann zu meinem Vor- oder Nachteil sei, das frägt sich gar nicht, nur nicht so, dass Du Dich einmal unglücklich fühlen müsstest, wenn irgend was ganz wider unsere Rechnung gehen würd, und ich es dann auf dem Gewissen hät. Aber gäll, darfst mir das auch nicht, nicht im geringsten falsch auffassen, weils nur zu Deinem Wohl gemeint ist, denn weisst, lieber wollte ich von allem zurückstehen als einmal derartiges sehen.

Wenn Du aber nach reiflicher Überlegung darauf beharrst, wie Du in den letzten Briefen geschrieben, dass es Deine feste Absicht sei in 2-3 Jahren heim zu kommen und dass es Dein inniger Wunsch sei, dass unser jetziges Verhältnis so weiter erhalten und zum Ziele geführt werde, wenn Dir damit ernst ist, dann mein lb. treuer Alois, dann ist auch mein Entschluss gefasst, in Liebe und Treue will ich immer zu Dir halten und die Zeit fristen und abwarten bis, so Gott will, wir uns einmal freudig begrüssen und über unsere Angelegenheit mündlich sprechen können. Ja, gewiss gerne will ich Dir helfen beten, dass der lb. Herrgott Dich stets gesund an Leib und Seele am Leben erhalten und wenn es an der Zeit, als einfacher junger Mann in die Heimat zurückführen und unsere Absichten und Wünsche segnen und gedeihen lassen wolle. Ich habs bisher auch immer getan und will es künftig nicht minder tun. Aber gäll, Du betest doch auch hie und da für mich, dass ich Gnade hab, allen Anfechtungen zu wider stehen und ein braves Maitli bleib, 7 damit ich einmal ohne Scheu in deine Augen schauen und Dir die Hand drücken darf und wir uns dann unseres Wiedersehens freuen und uns recht glücklich fühlen können.

Damit kennst Du nun meine Gedanken über diesen Punkt und ich hoffe gar, liebster Alois, dass ich damit Dein Herz nicht wieder erschwert habe und Du nichts auch gar nichts etwa falsch auslegst und mir übel nimmst. All unser Leben und Streben sei stets der Obhut Gottes anbefohlen und in dieser Gesinnung schliess ich nun dies Thema mit einem innigsüssen Küsschen.

Herzlichen Dank dann auch für die Osterkarte, hat mich sehr gefreut, aber tat mir leid, dass ich die Zeit verpasst, Dir eine solche zu schreiben. Wie Du schreibst, könnte es dazu kommen, dass meine Verwandten Dir ein Besüchlein abstatten. Lasse sie freundlich grüssen und wünsche Dir und ihnen viel Freude und Vergnügen an diesem Wiedersehen. Sobald dieser Brief endlich fertig, muss ich auch ihnen schreiben, bins schon lange schuldig und darf nun nicht mehr zögern. (Dem Anny muss die Schweiz doch wohl getan haben, da es schon scheints vor dem Mutterglück steht. Mögs ihm nur wohl ergehen.)

Nun weiss ich Dir was interessantes. Es soll kürzlich die Rede gewesen sein, Du wolltest bald heimkommen, was mir allerdings ganz unglaublich schien. Wie z’Marie sagte, hat Karl Fässler von Kaltbach an Fässlers auf Grossstein geschrieben, Du kommst innert ein paar Monaten heim. Es wollte ihm aber auch nicht recht einleuchten, da ja weder es noch ich von so etwas wussten, es meinte 8 dann aber so halblustig, wenn Du uns etwa überraschen wolltest und wieder einmal durchs Ofenloch rufen, wie, als Du einmal aus Frankreich gekommen seiest. Zuerst habe der Vater diese Neuigkeit vernommen, und als er eines Abends heim gekommen, habe ihm das z‘Marie so recht eine Freude angespürt, als er unverhofft sagte, der Alois wolle heimkommen. Es habs aber nicht recht begreifen können und meinte, Du hättest doch sicher Ihnen oder mir auch etwa ein Zeichen getan. Bei dieser Gelegenheit erzählte es dem Vater dann von unserem Verhältnis, das ihm bisher noch unbekannt war und meine Persönlichkeit natürlich auch. Vermutet habe er so etwas, da scheints Josef geschrieben hat, Du habest etwas Heimweh, es gehe halt so, wenn man einen Schatz habe. So hats mir nun z‘Marie erzählt und gesagt, ich solls Dir schreiben. Allerdings das letztere wäre ja nicht nötig gewesen, da ich hoffe und bitte Dich vom letzteren nichts etwa anmerken lassen, dass noch Falschheit draus erwächst. Du wirst ja dann schon Auskunft wissen, wie die Geschichte zusammenhängt, aber dass dies begründet sei, kann ich einfach gar nicht glauben. Es wird etwa wieder ein Beispiel sein wie bald etwas erdichtet ist.

Und nun was unser Befinden anbelangt wären wir gesund und zufrieden, wenigstens unser Familienkreis. Aber am Josef können wir gar keine Freude haben. Er kutschiert, dass er aus den Schulden nicht mehr heraus kommt und seine Liegenschaft im Leiterli armselig verlassen muss. Mit ihm Erbarmen zu haben, haben wir zwar 9 keine grosse Ursach, er wollte doch viel gescheiter sein als seine lb. Eltern. Es dürfte uns nämlich nichts angehen, als er das Haus gekauft, ebenso wenig als er ein Auto kaufte, mit dem er hauptsächlich so in den Dräck fuhr und überhaupt all seine Angelegenheiten sollten uns rein nichts angehen, ausser das Geschäft, das seit 1926 wieder unters Vaters Rechnung geführt wird. Nun kanns uns ja so recht sein, wir brauchen ihm auch nicht helfen, die Suppe auslöffeln. Der Verdienst wär so gewesen, dass er und seine Familie ganz wesentlich hätte fortkommen können, aber mit seinem Grössenwahn hat ers eben nur so weit gebracht. Und seine Frau natürlich hat ihn nicht minder. Leider. Ganz sicher ist es aber erst noch nicht, dass es nicht am Ende unser Geldbeutel doch noch etwas angeht oder ob alles total weggeworfen ist. Haben ja allerdings nicht grosse Lust, weil es eineswegs schlecht aussieht und wir seiner sonst mehr als genug hätten. Wenn einem selber auch sonst keine Schuld trifft, sind es dennoch betrübende Gedanken ein eigener Bruder in solch üblen Verhältnissen zu wissen, wenn man weiss, wie ihm ein guter Anfang und Existenz geboten war, aus der doch Vater und Mutter ihre Familie ehrlich und redlich genährt und herangezogen hat und wie er nach meinem Dafürhalten überhaupt ein gutes Beispiel hätte nehmen können an den Eltern, denen er aber gar wenig danach fragte, dass sich nun die ganze Familie dafür schämen kann. Es käme mir da allerlei in den Sinn, 10 doch ist ja genug, will lieber hie und da ein Vater unser beten, dass er wenigstens in religiöser Beziehung standhaft bleibt und endlich zur Einsicht und auf bessere Wege kommt und seine Frau ebenso, denn sie ist eben auch nichts besser. Es ist wahrhaftig kein Vergnügen solches zu schreiben und ebenso wenig zu lesen, aber ich will doch lieber Du wissest solches auch und kennst unsere Familie von allen Seiten.- Ohne das, befinden wir uns munter und zufrieden, werde aber nur wenige Tage mehr hier sein, am 15. gehts übers Wasser. Wenns nicht wegen den „Pollen“ wär, möcht ich grad daheim bleiben, es wäre auch viel schöner als im Winter. In Feld und Garten steht alles schön und zudem ist im Hause während des Frühlings wieder manches verbessert worden, so dass ich fast ungern so von allen weggeh. Nun muss ich mich aber endlich zum Schlusse wenden. Der Brief ist etwas länger geworden als ich im Anfang dachte, und mit dem gratulieren bin ich nun zünftig verspätet. Hoffe aber, dass die Karte Dich erreicht hat. Ich weiss nun nicht, wann ich Dir wieder ein Brieflein schreiben kann, in Seelisberg denk nicht, aber in Lieb und Treu an Dich denken tu ich nicht weniger und ich hoffe, dass Du’s mir verzeihst und unbesorgt bist, wenn auch der Briefwechsel unterbleibt. Wie stehts auch mit den Nebenarbeitern, hat es noch ein Zweck den Absender zu verstellen, oder sind sie etwa doch draufgekommen?

Nun behüt Dich Gott, mein liebster treuer Alois, lass es Dir immer wohl ergehen und entschuldige, wenn Dich in dem Briefe irgendetwas unangenehm berühren sollte, es ist sicher aufrichtig und mit innigwarmem Empfinden geschrieben. Für all Dein Erwiesenes danke ich Dir nochmals von Herzen und in warmer christlicher Liebe grüsse und küsse Dich aufs herzlichste und verbleibe in Treue Dein

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Die nächste Adresse heisst: K.B. Hotel „Tell“ Seelisberg, Kt. Uri.

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                            Käthy Betschart

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