top of page

Schwyz Obdorf, den 13. März 1929

Mein Geliebtester!

Um mein Herz etwas zu beruhigen, will ich nicht länger versäumen Deinen so lb. Brief zu beantworten. Vor 10 Tagen erhalten, hat er mich wieder sehr erfreut und ermuntert, und ich erwidere ihn mit herzlichstem Dank. Der “Schmerz” vom vorletzten Brief war ziemlich geheilt und ich war wieder guter Dinge und in ruhiger Fassung erwartete ich einen Bescheid. Nochmals herzl. Dank dafür, Du darfst glauben, dass mir Dein Schreiben im allgemeinen recht wohl getan hat, wie es sonst immer Brauch war, ausser was nun die Zeit eine recht ernste Angelegenheit mit sich brachte, über welche sich eben nicht mehr so leicht drüberweggehen lässt.

Was mich nun am meisten beunruhigt, ist Deine Frage, die ich mir schon Dutzendemal überlegt, aber die sich nie günstig ergab, und deshalb wohl auch die Hauptschuld trägt, dass mir oftmals wind und weh wurde, wenn ich an das Verhältnis und die Zukunft dachte.

Und nun soll ich aufs Papier bringen, was mir selber immer aufs Herz drückte, und das auch für Dich keine grosse Wohltat sein kann. O wieviel leichter ging solches, wenn man sich das Aug in Aug schauend in Liebe und Güte aussprechen könnt. Eine heikle und ernste Arbeit ist es auf jedenfall, Dir da Antwort zu geben, jedoch im 2 guten Glauben an Deine Aufrichtigkeit und ehrliche Absicht, bin ich guten Willens, dies mein innerstes Empfinden aus dem Herzen herauszuschreiben, so gut es eben geht. Ein bisschen zaghaft geschiehts allerdings, aber vorenthalten kann ichs Dir nicht mehr länger, da dies auch etwas zu bedeuten hat. – Schau liebster Alois! dass ich einmal nach Amerika ginge, ohne durch schwere Not gezwungen, daran darfst Du nicht denken, dies wär nichts für mich, ich könnt mich dort kaum so glücklich fühlen wie hier. Nicht bloss die Reise ersorgte ich, und den lb. Eltern und Angehörigen ein letztes unvergessliches Lebewohl zu sagen, und auf nimmerwiedersehen mich zu verabschieden von dem so schönen Fleck Erde, wo ich meine Jugendjahre in ungetrüber Freude und Glück verleben konnte. Wenns mit dem nachher in Ordnung wär, würde ich Dir zuliebe gewiss auch das übers Herz bringen, aber unzweifelhaft würde mir die Heimat doch keine Ruhe lassen. Und dann wenn man recht Heimweh bekommen müsst? Setzen wir den Fall, durch Gottes Fügung käms soweit mit unserer Liebe, dass wir uns einmal die Hand zum ewigen Bunde reichten und dann unser Glück in der Ferne suchten, und ich könnt das Heimweh nicht los werden, dann könnt ich auch unmöglich einen Mann glücklich machen und es wären dann beide geplagt und übel dran. Gewiss ist mir kein Spass, Dir Liebster, diese Antwort zu geben, aber besser wirds doch sein, man tue solches einander vorher zu wissen, als dass man sich unbekümmert immer mehr aneinanderhängt, und schliesslich durch eigene Schuld beide miteinander ins Unglück stürzten. Trotz allem Überlegen kann ich Dir leider keine Hoffnung geben, 3 wenigstens jetzt nicht und ich glaube, es auch nie dazu zu bringen. Zu wüst tun sollte man zwar nie,  “ zwüäscht tuo, bringst derzuo”  sagt man gewöhnlich. Und mit des Schicksals Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Solange ich mich hier einigermassen zufriedenstellen kann, werde ich mich wohl kaum entschliessen können, die lb. Heimat mit einem fremden Lande zu vertauschen, aber wer weiss, wie man sich wieder besinnen würd, wenn sich die Verhältnisse missgünstig ändern sollten, wie z. B. viel Missglück, wegsterben der lieben Eltern und dergl., was aber der lb. Herrgott doch verhüten wolle. Man kann ja aber nie wissen, wie sich die spätere Laufbahn eines jeden gestaltet. Deine Tante häts früher vielleicht auch nicht geahnt, dass sie nach solchen Verhältnissen noch Amerika sehen werde. Und so andere nochmehr. Wahr ist: “Not bricht Eisen”. Wir wollen nun natürlich nicht dies schlimmste hoffen, sondern durchs Gebet und christl. Handeln und Wandeln eine glückliche Zukunft zu verdienen suchen.

Nun aber kommen zu diesen Gedanken noch andere, die eben sowenig aufmunternd wirken. Nämlich, wie ich’s Dir im letzten Briefe geschrieben, dass Du Dich nicht mehr recht behaglich finden könntest in der Schweiz. Du hast nun allerdings im letzten Brief einer besseren Hoffnung Ausdruck verliehen, aber behaupten lässt sich eben nichts. Vergessen könntest ja Amerkia doch nicht mehr, und denkt man sich, wir gehörten einmal zusammen, und nach kurz oder lang würden sich Widerwärtigkeiten einstellen, dass Du Dich sehnlich wieder fort wünschtest, wie hart würde es doch sein, 4 wenn das Band der Liebe darunter leiden müsst. Dies scheint mir eben eine Sorge für lange Zeiten hinaus. D. h. wenns überhaupt soweit käme, aber es liegt ja noch in weiter, weiter Ferne, und der Herrgott allein weiss, wie es sich verwirklicht! Obs einem nicht schon vor der Zeit schier verleiden könnt, wenn sich die Hoffnung immer schmälert? Oder, abgesehen von dem, wenn wir noch in guter Treue und christl. Liebe ausharren, bis wir uns, so Gott will, wieder einmal freudig die Hände drücken und ins Auge blicken können, ob wir uns dann im persönlichen Verkehr wirklich auch so gut gefallen, wie jetzt im schriftlichen? Hoffen wollen wirs ja, aber gewärtigen muss mans doch. Und wenn nun man so an alles denkt, wirds einem doch etwas Eigen ums Herz und lässt sich nicht so gleichgültig hinunterschlucken. Ja, ja Gottes Wege sind unerforschlich und bitter nötig ist sein Segen um ein glückliches Ziel zu erreichen.

Nun will ich aber nicht länger grübeln, dass Dir noch Sturm und Wind und zum Verleiden wird. Du hast mir ja so tröstlich und lieb geschrieben, und zum Danke sollst Dich nur mit solchem Jammertal abfinden. Vergib mir, lb. Schatz, wenn Dich mein Schreiben irgendwie aufregen sollte, ich begreife, dass es nicht besonders erfreulich zu lesen ist, aber bei aller Liebe kann ich nicht anderes aus dem Herzen aufs Papier bringen. So gut ichs konnte, habe ich geschrieben wie ich denke und schon lange dachte und offen gestanden, ist mir die Gelegenheit doch recht lieb, da ich mein oft schweres Herz mit Wohl und Weh vollständig vor Dir ausschütten und mit Dir teilen darf, und dadurch 5 einige Erleichterung erhoffe. Denn nicht wahr “geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freud ist doppelte Freud”? Allerdings wünschte ich sehnlich, dabei in Deine Augen schauen zu können, denn wer glaubte auch nicht, dass es dann viel leichter wird solche Empfinden von Herz zu Herz zu bringen. Was vermag da so ein Papierfetzen. Ich hoffe aber und wünsche von Herzen Dich mit diesen Zeilen nicht zu schmerzen. Musst halt denken, die Weiber tun gern Elend klagen. Und wenn der Stein vom Herzen, handkerum die Männer plagen.

Doch darf ich nicht aussers Geleise kommen, Du erwartest ja noch anderen Bescheid. Vom Einrichten. Da wirds etwas weniger Schwierigkeiten geben, weiss aber eben auch nicht viel zu sagen, denn wie Du so richtig geschrieben, kann man da nur noch Luftschlösser bauen. Aber Ideen glaub ich, hätten wir so ziemlich dieselben und könnten uns in dieser Hinsicht schon einigen. Dass Dir das Knechten nicht mehr passen wird, kann ich sofort glauben und würde mich tatsächlich auch nicht sehr freuen. Ich dachte, wenn man beim Bauernstand verbleiben wollte, sollte man was eigenes, gefreutes haben, wo man denken könnt, man schaffe für sich und habe selber einmal den Nutzen oder wenn man auch ein gutes Leh hät. Aber ohne fürs eigene Interesse, glaub ich wärs da ein undankbares Rackern. Mitunter gäbs ja auch schöne Stellen, aber dann spekulieren gewöhnlich schon hundert für eine. Dann dachte ich auch, wenn Du aufs Landwirten verzichten möchtest, wär am schönsten eine Stelle als Tramführer und meines Wissens haben solche 6 mit etwas Sprachkenntnissen auch den Vorzug. Wie es sich mit dem Lohn verhält, weiss ich nicht, aber immerhin wärs ein täglicher Verdienst und es leben andere auch nicht so übel dabei. Der Zeit nach könnte man schon nebenbei noch etwas einbringen, doch würde mich nicht ein Laden am meisten freuen, da man, wenn man die Sachen nicht behalten will, manchmal viel "dings" geben und so hinaushängen und wie man oft hören kann, noch ins Kamin schreiben muss. Es käm vielleicht auch auf einen günstigen Posten an, und etwas wagen muss man eben immer, wenn man gewinnen will, es müsste ja nicht präzis ein Laden sein. Wenn sonst Dein Amerikageld gut angelegt wär, könnte ja der jährliche Zins auch etwas abtragen, so dass ein ordentliches Einkommen ziemlich sicher wär. Auch wieder dachte ich an eine Stelle, wie Dein Vater (also dieselben Gedanken) oder was sich davor passendes finden liess. Es müsste halt Dir gefallen, dann glaub ich, könnte ich mich schon etwa danach richten, wenn sich dabei auch ein Heim einrichten liess, wo man sich behaglich und heimelig fühlen könnt und die Mittel zu einem einfachen soliden Lebensunterhalt reichten, sodass man sich jederzeit dürft sehen lassen in- und ausserhalb der Wohnstätte. Diesen Wunsch allerdings liess ich nicht gern unerfüllt. Man kann ja aber noch keine Pläne machen, wenn sie uns überhaupt zu Nutzen kämen, ist's noch zuviel verfrüht, es kann inzwischen noch manche Maus ins andere Loch schlüpfen. Aber es ist dennoch gut, darüber zu schreiben und die Meinungen auszutauschen, und 7 man kann dies auch immer wieder tun, wenn man es für nötig findet. Inzwischen wollen wir unser möglichstes tun und ein offenes Auge haben, wenn gute Lehren und Beispiele uns begegnen. Ich meinerseits hät allerdings bessere Hoffnung, hier ein ordentliches Auskommen zu finden und sich des Wohlergehens freuen zu dürfen als in Amerika glücklich zu fühlen.

Nun will ich über diese Sachen wieder einmal schliessen, meine Gedanken und zwar die meisten hab ich Dir wieder anvertraut. Mein Herzlichster! Ich hoffe gerne, dass Du mich in allem etwas verstehen und mir verzeihen kannst, wenn ich Dir irgendwie zu nahe gekommen sein sollte. Ich begreife wohl, dass es nicht eine freudige Nachricht ist, und was ihr folgt, “weiss Gott,, vielleicht noch weniger erfreuliches. Es sei aber ganz dem lb. Herrgott überlassen, dass er walte nach seinem höchsten Willen, uns aber die Gnade gebe, auch das Schwerste zu überwinden. Nun also unser Leben Gott befohlen, und Dir mein Schatz, ein innig Küsschen aufgedrückt, wollen wir nun alle Hindernisse im Herzen vergraben, und uns ein frohes Plauderstündchen gönnen.

Es freut mich so sehr, dass Deine Ferientage so glücklich und vielvergnügt verlaufen sind. Wie schön wärs da vielleicht das eine oder anderemal bei Dir gewesen. Aber ich bin ja auch ohne das wohl zufrieden und freue mich gleichwohl mit Dir. Vom Vetter Meiri habe ich auch einen Brief, worin er schreibt, Du seiest auf Besuch gewesen, und Du habest ihm sehr gefallen, er hoffe sich nicht zu täuschen. Der Mutter und dem Anny habest auch gefallen 8 und zwar so, dass sie den ganzen Tag mit Dir "herumgefekt" seien. Dem Anny habe besonders Deine hübsche Manier gut gefallen. Kannst denken, wie schön es ist, solchen Bericht zu erhalten und wie einem das Herz im Leibe lacht. Aber ich danke auch dem lb. Herrgott, dass er Dir bis jetzt so reichlich mit seiner Gnade beigestanden und will auch gerne für die Zukunft um die beten.

Im übrigen aber hat der Vetter nicht so besonders gerühmt wegen den Arbeitsverhältnissen und es hat dort Arbeitslose und viel Not und Elend wie an andern Orten. Die Schweizer haben im allgemeinen einen guten Ruf und seien gesuchte Arbeiter. Ich denke, wenn Du wieder einmal Gelegenheit hast, wirst sie wieder besuchen. Sämtliche Grüsse verdanke ich bestens und erwidere alle herzlich. Besonders gefreut hat mich Dein Kartengruss aus San Franzisco und sage Dir dafür schönen Dank. Überhaupt all Deinem Schreiben und Erzählen verdanke ich viel Freude und Heiterkeit, die wieder über manche Sorge hinweghilft. Ich wollte Dir gerne auch viel Schönes auftischen, aber ich weiss gar herzl. wenig. Nicht einmal etwas von der Fastnacht. Wie Du ja weisst, kamen wir bald nach dem ersten Fastnachtstag in Leid und vorbei waren die Freuden. Am Unterhaltungsabend im Bären hät ich allerdings gerne teilgenommen und es soll sehr schön gewesen sein, aber unterem Siebenten, hielt's uns doch die Nase draus. Konnte mich jedoch ganz gut dreinschicken und an den Tanztagen fanden wir uns so zufrieden und vergnügt daheim beim warmen Ofen und bei geschwungener Nidel. Da es grausam kalt war, zänggelte uns nicht im geringsten, um 9 ins Dorf zu gehen und suchten rechtzeitig das Bett auf und hatten dann anderntags nicht einmal "Blauen". Der lb. Grossmutter zulieb liess sich alles schmerzlos überwinden. Man kann ja dann das versäumte nachholen, wenn es sich wieder besser schickt.

Nun wäre mir bald lieb, wenn der Brief endlich fertig wär. Der Zeit nach könnt er wenigstens siebenmal länger sein. Ich glaube, Du hättest währenddessen ein Buch geschrieben. Aber Du glaubst gar nicht, wie mich solches Schreiben halb"konfus" machen kann, doch wenn mir wieder verleidet ist, musste ich halt die Blätter trocknen lassen. Eine Busse war mir das Schreiben immer und es will sich nicht bessern und ich glaube nicht, dass ich noch manchen so langen Brief schreibe. Es ist besser man sei daheim. Da darfst Du Dich in diesem Punkt schon glücklich schätzen. Vor lauter Schreiben sind auch, leider Gottes, die Ostergrüsse unterblieben. Nimms mir bitte nicht übel, an treuen Gedanken wird's dann schon nicht fehlen.

Laut Deinem Briefe hast am 15. Febr. das 27te Lebensjahr begonnen. Zum Gratulieren ist nun freilich zu spät, aber im stillen Herzen regt sich gleichwohl ein warmer Glückwunsch für dies schöne blühende Alter. Genau ausgerechnet, bist Du also 2 Jahre 9 Monate und 12 Tage älter als ich. Nun kannst das Geburtsdatum selber erraten.

Und just, etwas wollte ich Dir noch schreiben. Dass Du sicher sein kannst, dass ich von unseren Briefen nichts ausplaudere. Vor den lb. Eltern habe ich allerdings nichts geheim, aber deswegen hast Dich doch keineswegs zu scheuen, und dann weiter vernimmt nicht selten auch Deine Schwester etwas, das ich denke, ihr ruhig sagen 10 zu dürfen, wie z.B. von Deinen Ferienerlebnissen und derartigen. Da sie ja von unserem regelmässigen Briefwechsel weiss und immer etwas darnach frägt, wirst Du ja nichts dagegen haben, wenn wir das oder dies, miteinander einwenig verzapfen. Aber unsere tiefergehende Angelegenheit behalt ich schön für mich im Herzen, da kannst gut versichert sein. Dass ich den Josef selber aufmerksam gemacht, musst entschuldigen, es hät mir doch weh getan, wenn ich ihm nicht einmal ein lb. Gruss an Dich hät mitgeben können. Hoffe, dass auch er nun viel Glück habe in Amerika.

Betreff Deiner Tante und ihrer Familie im Unterdorf, fällt mir nicht ein, nur ein Wort zu verlauten. Aber ich glaube, es sei schon ziemlich bekannt, dass sie finanziell schlecht stehen, konnte man schon länger hören, und vor einiger Zeit auch irgendwo lesen, ich weiss nimmer in der Zeitung oder im Amtsblatt, eher im letzteren. Vor längerer Zeit hiess es einmal, dass A. Wiget im Grund, der Föhn im Hagni und eben M. Reichmuths, diese drei mit ihren Familien nach Amerika ausreisen wollen. Dies scheint sich wieder gelegt zu haben, hingegen M. Reichmuth scheint es doch ernst zu gelten. Man sieht da, wie es manchmal gehen kann.

Nun aber will ich sehen zum Schlusse zu kommen. Mein liebster Alois, lass Dich nicht etwa aufregen und nimm mir bitte nichts übel in diesem Brief, ich weiss, dass ich es mündlich hät ausrichten können, ohne in geringstem Unfrieden zu kommen. Nun überlasse ich’s halt ganz dem lb. Herrgott, wie er es haben will und suche meinen Trost im fleissigen Gebet. So möge dies Brieflein Dich recht gesund und munter antreffen, wie es mich und uns alle verlässt, ich entsende es in warmer aufrichtiger Liebe mit den herzlichsten Grüssen und Küssen von Deinem treuen

                            Käthy Betschart

​

bottom of page