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Schwyz Obdorf, den 13. Jan. 1929

Mein Herzliebst!

Zum ersten Mal in diesem Jahre will ich mich hinters Schreibzeug begeben um Dir meinen Gedankengang beim Empfang Deiner zwei lb. Briefe niederzuschreiben. Vorerst spreche ich Dir meinen aufrichtigen Dank aus für Deine Neujahrs-Glückwünsche und wiederhole nochmals den innersten Wunsch, dass der lb. Herrgott auch Dir recht glückliches Wohlergehen und reichen Segen möge angedeihen lassen, im neuen und jedem folgenden Jahr. Entschuldige, dass ich zur letzten Stunde nicht mehr an die Eltern dachte, welche Dich ja auch aufrichtig beglückwünschen, und gerne von Gottes Gnade und Segen begleitet, als glücklicher Mensch Dich durchs Leben wandeln sehen. Mit freundlichem Danke nahmen sie auch Deine Glückwünsche entgegen.

Der erste Brief erhielt ich nach Weihnachten, der zweite am Neujahrsmorgen. Wohl folgte ich in Gedanken Deinen schönen Ferientagen, welche, wie ich gerne hoffe, Dir viel Freude und Abwechslung mögen geboten haben. Obwohl ich Dich in vergnügter Stimmung hoffte, und Du mir daran auch Anteil schenktest, muss ich auch gestehen, dass der Brief mich diesmal nicht recht in Freude und frohe Laune zu setzen vermochte. Nicht weil ich etwas ungern oder im geringsten wider Dich haben könnte, sondern im Gegenteil empfand ich alle Achtung und Liebe dabei und ich will Dir gleich den Grund klar legen, welcher diesmal etwas tiefer gegriffen. 2

Vorerst jedoch danke ich Dir von Herzen, dass Du so vertrauensvoll mich über Deine Gedanken und Sinne aufgeklärt hast und bin ich gerne bereit, Dir ebenfalls mit vollsten Vertrauen zu begegnen, und Dich mein innerstes Empfinden fühlen zu lassen. Es könnte zwar vielleicht auch besser sein, wenn ich mit der Offenherzigkeit noch etwas zurückhielte, aber ich meine in ehrlicher Bekanntschaft, welchem Zwecke sie ja dient, soll man sich gegenseitig offen auszusprechen und ins Herz schauen können, da dies doch eine grosse Bedeutung hat, fürs ganze künftige Leben. Dass aber solches nur unter uns bleiben soll, ist ja selbstverständlich. Und so setz ich mich also im Geiste getreulich bei Dir nieder um Dich meine innersten Gedanken erfahren zu lassen.

Du weisst nun, mein Liebster, dass ich schon unzählige mal fragend in die dunkle Zukunft schaute. Und sooft dies geschah, stieg mir auch der trübe Gedanke auf, dass es wohl möglich sein könne, wenn der lb. Herrgott ein Wiedersehen noch zulasse, dass Du doch keine Freude und kein Bleiben mehr hast in der engen Heimat, wie man eben solche Beispiele genug hat. Und dann, so musste ich denken, in diesem Falle könne ja unser Verhältnis seinen Zweck nicht erreichen, und wäre es vielleicht besser, wenn man die ganze Geschichte zu brechen und vergessen suchte. Und nun, wohl oder übel, musste ich am Neujahrstag erfahren, was mir immer Bedenken machte, eben dass es Dir nicht mehr viel dran gelegen ist, Dein Fortkommen wieder in der Schweiz zu suchen. Ich kann dies ganz gut begreifen und verzeihen, aber Du 3 magst es glauben oder nicht, lb. Alois, nur schweren Herzens bin ich über die Schwelle des neuen Jahres getreten. Ob ich nun wirklich diesen Gedanken folgen und jede Hoffnung aufgeben oder es weiter drauf ankommen lassen und mich hartnäckig allem bitteren und schweren entgegenstellen soll? Von allem entsagen und verzichten für ein paar Jahre wollt ich nichts sagen, aber der Gedanke, das liebste, das man mit aller Treue und Ergebenheit im Herzen trägt für allzeit und immer aufzugeben, das tut weh. Tut jetzt weh und kann mit der Zeit noch weher tun. Deshalb ist es mir recht, wenn die Sache einmal ernstlich zu Sprache kommt und Du es Dir bitte auch gut überlegst, damit Dich nicht einen Schritt des Lebens um meinetwillen einmal gereuen müsst. Und sollte man finden, dass das Verhältnis nicht zum Zwecke gereichen kann, dann in Gottesnamen wenn auch blutenden Herzens, wollt ich mich solchem Geschick lieber jetzt fügen, als es noch weiter schieben, und dann eine noch grössere Misere erleben und dabei denken zu müssen, hätte man‘s doch früher besser überlegt. Du magst nun diese Zeilen finden wie Du willst und komme es heraus, wie es wolle, es ist dies einmal mein etwas wehes Empfinden, welches auch in mündlicher Weise kaum anders ausgefallen wär.

Anderseits aber, kann ich‘s doch fast nicht glauben, dass wir, die wir doch, wie ich meine, nicht so übel miteinander denken und fühlen und sich verstehen können und unsere Liebe ja an und für sich ein schöner, christlich gesinnter Anfang und bisheriger Verlauf genommen hat, 4 dass wir so hartherzig zeitlebens getrennt sein sollen. Dass uns so eine Art Prüfung bevorstehe, daran dachte ich allerdings schon öfter und dünkt mich die gegenwärtige Lage nicht viel anders. Ich lege aber alles in Gottes Hand und füge mich willig seinen Lenkungen, indem ich hoffe, dass er doch alles in die besten Wege leitet. Nebst dem sieht ja der Brief nicht so trostlos aus und darfst Du mir glauben, was Dein Sinnen und Streben anbelangt, dass ich sehr erbaut bin darüber, und gerne glaube, es nicht nur mit einem „Bub“ zu tun zu haben, der nur mit Schmeichelworten ein Mädchen fangen will, sondern ein lb. charakterfester Bursche, der weiss, was Leben heisst, und seinen Stand zu erkennen und ihn pflichtgetreu nachzukommen imstande ist, einfach wie ichs an einem Manne kaum anders wünschte, wenn der lb. Herrgott mich überhaupt einem solchen zur Seite stellen wollt. Du kannst nun vielleicht auch begreifen, dass jenes umso tiefer greift, je besser mir Deine Lebensauffassung gefällt. Was den Geldbeutel anbelangt würde ich mir nicht so schwer Sorgen machen. Allerdings weiss ich auch gut genug, dass es viel braucht und nicht so leicht geht, sich eine selbständige Aussteuer zu verschaffen, woraus man etwa ein menschenwürdiges Dasein fristen könnt. Ich bin aber der Ansicht, ein guter Charakter sei grad so viel wert und könne, wenn er nicht nur vom Unglück verfolgt wird, sich und eine Familie durchs Leben bringen, ohne dass er ein grosses Vermögen haben muss, wenn er z’Kabrize etwa am rechten Ast hat5 und das errungene gut anzuwenden weiss. Wenn Du nun während den 2-3 Jahren in Amerika sparen könntest, was Du hoffst und sich dann hier eine Stelle finden liesse, die Dir angenehm wär, so dürfte es vielleicht nicht mehr so schlimm stehen. Vielleicht dass Du Dich aber lieber selbständig machen möchtest, was ja auch schön wär, aber im allgemeinen auch bei vorhandenen Mitteln eben auch viel mehr mit Sorgen und Klagen verbunden. Es würde mich freuen, gelegentlich erfahren zu dürfen, wie Du Dich am liebsten einrichten würdest. Es liegt bisher zwar alles noch fern und hat man erst das nähere abzuwarten. Ich möchte jedoch auf keinen Fall das Geld zur Hauptsache werden lassen, es allein kann ja das wahre Glück nicht ausmachen, und dass Du nach Möglichkeit für ein ordentliches Fortkommen sorgen würdest, daran zweifle ich nicht: wir wollen nun, wie Du auch schreibst, nehmen wie es die Vorsehung uns schickt, es wird sich für und für etwa zeigen. Da Du mir aber Deine finanzielle Lage nun offen bekennst, was mich ehrlich freut, wirst Du von mir auch so etwas erwarten. Ich kann Dir jedoch keine grosse Hoffnung geben und freut es mich sonst nicht sehr, darüber Bescheid zu geben, aber Du darfst es offenherzig vernehmen um in keiner Weise von einer Enttäuschung getroffen werden zu müssen. Was ich allmählich während den paar Wochen auf Sommerstellen verdiente, schob ich bisher alles dem Vater zu um es geschäftlich verwenden zu können. Es beträgt dies, nachdem alle um mich entstandenen Auslagen abgerechnet, etwa Fr. 1000 und wird mir das im Gebrauchsfalle auch zur Verfügung gestellt werden. 6

Hingegen was vom elterlichen Besitze zu erwarten ist, kann ich nicht sagen. Nun etwas gebessert hat sich zwar unsere finanzielle Lage, aber vieles liesse sich noch besser wünschen. Du weisst aber vielleicht schon auch, dass der Bauernstand zurzeit überhaupt nicht grad am besten steht. So kann ich Dir leider keine freudige Aufklärung geben. Wenn sich ja die Sache etwa besser herausstellen sollt als man gehofft, so würde man sich wohl immer noch reinschicken können.

Und nun, mein Allerliebst! Wie magst Du wohl über mich denken und wie wird Dein Brief wieder ausfallen? Es komme in Gottesnamen wie es wolle, wie es Gott gefällt, ich will mich gefasst halten und ganz dem höchsten Willen ruhig unterstellen. Ich hab Dir nun mein ganzes tiefstes Empfinden anvertraut so gut ichs mit der Feder imstande war, und hoffe ich, dass Du etwa drauskommen und mir auch verzeihen kannst, wenn der Brief nicht ganz zu Deiner Freude ausgefallen sein sollte. Ich kann eben nicht anders schreiben, als wie das Herz fühlt und denkt, denn ich möchte nicht mein Handeln selber einmal bereuen müssen, noch viel weniger aber, dass Du lb. Schatz irgendwie enttäuscht sein müsstest. Da ja das ganze künftige Glück gar vielfach davon abhängt, gebührt es sich, über diese Angelegenheit mit ruhiger Überlegung die Gedanken und Meinungen gegenseitig aufrichtig auszutauschen. Man konnte zum Beispiel heute wieder allerlei zu Herzen nehmen, da als Predigt die Ehesatzungen verlesen wurden. Also, Gott befohlen will ich nun für heute über dieses Thema schliessen und guten Mutes der Zukunft entgegen gehn und alles nehmen, wie der Allmächtige es gibt. 7

 

 

15.1.1929

Guten Tag Schatz, und gelobt sei Jesu Christ, dürfte ich auch erst schreiben, da ich eben nach dem ersten Narrentag vom herrlichen Schäfli aufgestanden bin, und also mein Brief zur Vollendung bringen will. Ich weiss aber nicht wie es etwa geht heute, ob ich meine Erwiderungen auf Deinen lb. Brief richtig schreiben kann. Immerhin will ich nun suchen so gut als möglich ins Geleise zu kommen.

Also, wegen Lenis Buben kann ich Dir schreiben, dass sie nach meinem Dafürhalten nicht viel wissen von unserem Verhältnis. Der Franz allerdings hät mich fast fuxen wollen, da wir unter anderem auch auf die Präsidentenwahl in Amerika zu reden kamen. Er wusste dann zu sagen, dass der gewählte Präsident so gut sei für die Bauern und das könne dem Wisy auch ein Nutzen sein. Dabei hatte aber sein Blick mehr zu bedeuten als das Wort, ich tat aber einfach als ob ich nicht viel merkte. Mit den andern habe ich zwar noch wenig verkehrt, aber dergleichen getan hat sonst noch keiner das geringste. Sie müssten sich absichtlich nicht verschnäpfen wollen, die Maitli aber sagen auch, durch sie können sie nichts wissen.

Dein Onkel Franz komme jetzt diese Woche wieder heim, er sei so ordentlich zweg und darfst Du also beruhigt sein wegen ihm.

Ich selber war jetzt immer daheim und werde es auch vorderhand noch sein, da es gegenwärtig nicht sehr daran gelegen sein kann, mich nach einer Stelle um zu sehen, da die Grossmutter (Mutterseits) die bereits 90 Jahre zählt, krank und immer schwächer ist, so dass man nicht mehr hoffen kann, dass sie den Frühling noch erlebt. Und da man über kurz oder lang doch mit 8 Todesfall rechnen muss, schickt es sich nicht so gut, aufs Fortgehen zu dringen.

Hingegen hat mir Frau Truttmann “z‘Tell“ auf Neujahr auch wieder geschrieben und gefragt für den nächsten Sommer. Ich habe im Sinn die Stelle doch wieder anzunehmen, obwohl ich letzten Sommer manchmal bei mir selber dachte, diesen Sommer noch und dann nicht wieder. Ich muss mir aber sagen, dass ich trotz allem sehr gut zweg war und man auch Gelegenheit hat am Sonntag wenigstens der Frühmesse beizuwohnen, wie dies auf den Hotels eben nicht überall der Fall ist. Und etwas unangenehmes zu gewärtigen hat man ja überall, und bin ich doch willens den Sommer wieder dort zu verbringen. Nebenher hat sich Frau Truttmann auch sehr beklagt, dass es so schwer sei, in die vergangene Zeit zurück zudenken und nun alle Sorgen und Lasten allein tragen zu müssen, da eben das Herz der Familie fehle. Ich kann dies ganz gut begreifen, da ich weiss, dass sie ihrem Manne alle Liebe und Treue erwies, obwohl sie sonst nicht weniger als ein schmeichelhaftes Tun hat, aber gleichwohl ein gutes Herz.

Jetzt könnt ich Dir, da so schön neugebacken, noch kurzen Bericht geben vom Verlauf des gestrigen Fastnachttages. Zwar ist nicht viel apartes geschehen, es ist der Güdelmontag und die vielen Vereinsanlässe zu nahe, dass es grossen Andrang geben könnte. Lienis Marie war auch ein schönes „Maschgrädli“, hab‘s jedoch sofort erkannt. Hatte auch das Vergnügen mit dem Alois einmal zu tanzen, was ich nicht ungern getan habe, denn Du darfst auch wissen, dass mich sein Wesen immer wieder an Dich mahnt und in seiner Gegenwart 9 meine Gedanken recht nahe bei Dir sind. Die Laimbachers kamen nicht mehr ins Schäfli, da sie jetzt um ihre Schwester in Trauer sind. Hingegen war das Salach-Gritli auch da, und ich hatte Gelegenheit es näher, oder doch wenigstens dem Namen nach kennen zu lernen. Ich muss sagen, das Mädchen machte mir keinen üblen Eindruck. Der Melk hat es dann wieder heimbegleitet, und das Haus verliessen sie miteinander, sie werden sich ja wohl nicht etwa verloren haben.

Dein Freund Franz Föhn fand sich auch im Schäfli ein und hat er mich während des Tanzes gefragt, ob ich in 8 Tagen wieder zu ihnen käme, anlässlich eines Unterhaltungsabends der Schützengesellschaft. Ich werde da Folge leisten, wenn nicht etwa ein Zwischenfall eintritt. Vielleicht würde sich dann Gelegenheit bieten, ihn kurz auf unser Verhältnis blicken zu lassen, wenn man ja nur freundschaftlichen Briefwechsel offen gestehen würde, wäre das eigentlich nichts anderes. Aber da ich nicht weiss, wie Du etwa einverstanden wärest, wird es fast besser sein zu schweigen. Dann wird am 28. im Bären wieder ein Unterhaltungsabend der Jungvolkspartei stattfinden, wo ich sonst auch gerne abwechslungsweise einmal mit den Brüdern an solchen Anlässe teilgenommen hät. Ich darf mir aber keine grossen Pläne machen, denn das Befinden der lb. Grossmutter ist kein erfreuliches und deutet immer mehr darauf hin, dass vielleicht schon innert wenigen Tagen für sie das letzte Stündlein schlägt. Es ist deshalb nicht so gar gemütlich um uns, aber da ja doch nichts besseres mehr zu erwarten wär, wird man sich dreinschicken müssen. 10

Und nun mein Liebster! Wie lebst nun Du etwa? Bist Du glücklich ins neue Jahr hineingerutscht und hast Deine Ferientage recht angenehm und freudig verleben können? Gerne hoff ich das, und auch dass Du Deinen Bruder recht gut getroffen und in ihm einen lb. Gesellschafter gefunden hast. Leider muss ich annehmen, dass Du Vetter Meiri nicht kannst getroffen haben, da gestern eine Karte von ihm gekommen ist, mit dem Datum vom 31. aus Seattle, wo er vorübergehend arbeitet. Schade ists. Ich hoffe nun gerne, dass Du eine schöne Zeit hinter Dir hast und jetzt wieder mit neuer Kraft und Freude am Tagewerk bist, wie ich auch gerne annehme und es von Herzen wünsche, dass auch Jos. das neue Jahr mit Gottes Glück und Segen angetreten habe und sich dessen jederzeit freuen könne.

Nun will ich mich zum Schlusse wenden, der Brief ist diesmal auch ziemlich lang geworden. Zwar ist er noch nicht was Deiner, aber wenn Du wüsstest wie lange ich im ganzen dabei gesessen, würdest sagen, „es tut‘s.“ Entschuldige, wenn er etwas katzenjämmerlich aussieht. Ich muss allerdings sagen, dass der Brief nicht viel lustiges enthält, aber es konnte mir einmal nicht anderes einfallen. Ich hab Dir so ziemlich das Herz ausgeschüttet, wie ichs der Wahrheit nach konnte. Du magst nun in Gottesnamen darüber denken und erwidern wie Du willst, ich bin gefasst auf jeden Bericht der Deinem Herzen entspringen mag und lege alles voll Ergebenheit in Gottes Hand, und wills auch künftig nicht unterlassen für Dich, mein Liebster, und mich um eine beiderseits glückliche Standeswahl zu beten. So möge dies Brieflein Dich gesund und munter antreffen, wie es mich verlässt, indem mit inniger christlicher Liebe Dich herzlichst grüsst und küsst Dein treues

 

                            Käthy Betschart

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