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Salinas (Calif), den 13. Dez. 1928

Mein liebstes Käthy!

Du wirst vielleicht etwas erstaunt sein, heute schon wieder ein Brieflein zu erhalten, aber ich hoffe, Dich mit dem nicht etwa zu erschrecken. Es dürfte Dir ja sonst auch aus Erfahrung bekannt sein, dass ich nicht ein so eifriger Briefschreiber bin, aber es haben sich seit vorgesternabend Ereignisse ergeben, die ich für bedeutend genug halte, um sie Dir mitzuteilen. Und dann war das vorgestrige Brieflein ziemlich kurz und knapp und gestern, als ich im Dorf war so in Eile, dass ich die Karte, die ich dort eben gekauft hatte, einfach leer in das Couvert steckte, ohne sogar mein Name, vergessen einige liebe Worte drauf geschrieben habe, was Du vielleicht nicht grad für schön halten wirst. Also, nichts für ungut und weh einmal die herzlichsten Glück- und Segenswünsche zum neuen Jahre 2 Dir und all Deinen Lieben. Und nun eins nach dem andern.

Dein so lb. Brieflein habe ich heute Abend beim Nachtessen erhalten und es hat mich über alles erfreut. Du hast mir da nichts geschrieben, das ich für ungut halten müsste, denn ich liebe eine offene gerade Schreibweise und ich kann diese in Deinem letzten Briefe gut erklären und ich muss es fast sagen, ich habe so etwas schon längerer Zeit von Dir erwartet. Ich darf Dir versichern, dass ich mir die Frage betreff eines Wiedersehn auch selbst schon oft, ja jeden Tag, gestellt habe und ich es Dir gut glauben kann, dass Du oft mit Deinen Gedanken an dieser Frage hängen bleibst. Ich will sie Dir dann heute einmal von Herzen offen und frei beantworten, denn ich halte es für wichtig genug, dass ich Dir einmal mehreres über die Sache schreibe und Du meine Meinung und Gedanken wegen dieser Frage auch kennen darfst. Ich weiss allerdings nicht, wie Du über alles etwa denken wirst, aber ich will Dir offen und ehrlich meine Gedanken anvertrauen, wie es sich für zwei ehrlich 3 Liebende ja gebührt. Ich möchte Dich aber jetzt schon bitten, Deine lb. Eltern ausgenommen, sonst niemand etwas über diesen Brief verlauten zu lassen.

Vorerst aber nun zur Sache, warum ich dem vorgestrigen Brief so schnell ein zweiter folgen lasse, vielleicht wirst Du auch beide miteinander erhalten. Es ist, dass Du weisst, wo Du mich über die Neujahrstage in Gedanken finden kannst und Du Dich auch mit mir freuen kannst in den Tagen, wo ich der Arbeit den Rücken kehre und auch wieder einmal meinem Vergnügen nachgehen kann. Ich habe nämlich gestern den Meister gefragt, ob er mir einige Tage frei gebe über Neujahr, da mein Bruder in dieses Land komme. So 3-4 Tage wären ja genug gewesen, aber er hat mir dann gesagt, er gebe mir die bezahlten Ferien, wenn ich wolle, die man sonst nur erhält, wenn man ein Jahr und darüber hin gemolken hat. Es gibt dann je einen Tag für jeden gearbeiteten Monat. Für mich nun also 10 Tage. Es war mir auch recht so, da ich sonst noch gern an einem 4 Schweizertanz teilgenommen hätte in San Francisco am Silvesterabend. Und da ich denke, Josef wird am 26.-27. Dez eintreffen und ich diesen gern bei seiner Ankunft in Tracy begrüssen würde, so hätte das fast 8 Tage gegeben und das war mir fast zu lang zum Faulenzen. Nun ist mir der Meister aber etwas entgegengekommen und gab mir die bezahlten Ferien, die ich sonst erst im März erhalten hätte. Über den Weihnachtstag muss ich noch hier bleiben, da sonst für die andern Arbeiter mehr Arbeit sei und er diese am Weihnachtstag auch nicht gern mit Mehrarbeit belästige. Aber am 26. kann ich dann losziehen und habe, wie man hier sagt, für 10 Tage «gute Zeiten». Zuerst werde ich natürlich nach Tracy gehen, um Josef zu sehn und werde auch die andern Verwandten etwa besuchen, wenns nichts dazwischen gibt den Tanz am 31. Dez. besuchen und werde dann auch sicher in der Lage sein, Deinen Gruss an Familie Eberhardt auszurichten. Ich hoffe also einigen gemütlichen Tagen entgegenzugehn und Du weisst nun auch wo ich den 5 Silvester etwa verbringe und Du kannst dann, da Dich dieses Brieflein noch vorher erreichen dürfte, in Gedanken bei mir im Tanz sein, wie die meinen auch schon oft an einem Tanztage ins Schäfli gefolgt sind. Ich weiss ja wohl, dass Du Dich dann auch mit mir freuen wirst.

Und nun komme ich wieder auf die Frage zurück und ich will sie Dir nun wahrheitsgetreu und so gut ich kann, beantworten. Es wäre ja vielleicht besser, wenn ich nicht so offenherzig wäre, aber ich bringe Dir volles Vertrauen entgegen und weiss, dass Du mich auch verstehn kannst.

Ja, ja, ein Wiedersehn könnte ich auch schreiben. Das ist die Frage, die ich mir schon sehr oft gestellt habe, aber diese nie und auch jetzt nicht in der Lage bin sie zu lösen. Ich will Dir nun meine Gedanken und zwar so ziemlich die innersten, anvertrauen. Schau Käthy, meine liebste Seele, die ich nun auf dieser Welt habe, es sind nun schon über 2 Jahre verflossen, seit wir uns das letzte mal tief in die 6 Augen geschaut und mit einem warmen Händedruck Abschied genommen haben. Ich fragte Dich damals, ob Du nichts dagegen hast, wenn ich Dir einmal schreibe, was Du mir dann, wie es schien mit freudigen Herzen erlaubtest. Dass ich Dich schon lange vorher gern gesehn habe, weisst Du auch und nun haben wir uns im Verlaufe der zwei Jahre durch unseren Briefwechsel so ziemlich kennen gelernt. Wir sind uns im Verlaufe der Zeit treu und anhänglich geblieben, aber ob wir ein Wiedersehn feiern können, kann ich ebenso wenig sagen als Du, es hängt eben alles vom Willen Gottes ab. Es ist eben das beste sich seinem unerforschlichen Ratschlusse zu fügen und alles zu nehmen wie er es lenkt. Ich will Dir schreiben, wie es für mich jetzt so ist. Es ist oder scheint vielleicht wenigstens so in jungen Jahren, in der Hemat schöner durch die Lage und gemütlicher zu leben. Aber das Leben zu machen und das Fortkommen für dasselbe ist besser in diesem Lande. Und ich will Dir frei und frank sagen, dass ich kaum mehr den grössern Theil 7 meines Lebens in der Schweiz verbringen würde, wenn ja, wenn Du, mein Liebstes, nicht wärest. Ich weiss eben auch, wie hart es ist in der Heimat ein einigermassen befriedigendes Fortkommen zu finden. Etwas rechtes anzufangen ist sehr teuer und hat man eben zu wenig Geld. Es ist sonst nicht meine Mode zu sagen oder zu schreiben, wieviel Geld ich habe, aber die Frage verlangt auch das, denn Du kannst dann selbst auch aus allem den Schluss ziehen und Deine Meinung machen und mir bitte dann auch schreiben. Es liegt mir eben nichts daran einem Mädchen nur schöne Worte zu schreiben, sondern liebe es besser die offene Wahrheit zu schreiben, damit es weiss, wie ich ungefähr stehe und es dann nicht in irgendeiner Weise enttäuscht sein muss im späteren Leben und sagen muss, ich sei an allem Schuld. Sondern Du darfst auch einmal alles wissen, möge Deine Meinung und Dein nächster Brief dann ausfallen wie er will. Nun, ich habe mir in der Zeit etwa 1500 Dollar, also 7500 Fr. erspart, allerdings ein guter Theil davon in den 8 letzten Monaten auf diesem Platze. Ich dürfte auch in den nächsten Monaten dem Verhältnis nach mehr Geld machen, denn ich habe wie Du ja weisst, schon oft Stellen gewechselt und auch nicht überall den Lohn gehabt wie auf diesem Platz, wo wir 100 Dollar im Monat haben. Ich bin auch in einer Lebens- und Unfallversicherung und diese nehmen fast 8 Dollar weg jeden Monat, aber wenn man krank werden müsste, hätte man auch etwas, es ist sowieso eine teure Sache in diesem Lande, das krank sein und sollte mich der Tod ereilen, hätten meine Lieben auch etwas. Ich hoffe nun im nächsten Jahr etwa 4000 Fr. zu ersparen oder vielleicht noch etwas mehr, d.h. wenn die Löhne so bleiben und es nicht etwas unvorhergesehenes gibt. Also, in 2 Jahren 15000 Fr. und dann in die Schweiz kommen? Wer weiss es? Du weisst es nicht und ich weiss es nicht, der Herrgott allein weiss es und wir wollen es aus seiner Hand nehmen wie er es uns gibt. Aber die Frage habe ich Dir nun wahrheitsgetreu beantwortet, wie Du nun über mich denkst, weiss ich nicht. Ich will eben nicht die Verantwortung selber 9 allein auf mich laden und Dich über meine Verhältnisse und Gedanken im unwissenden lassen und dann kannst Du auch Deine Schlüsse ziehen davon. Im Sinn habe ich allerdings so in 2-3 Jahren heimzukommen und dieses so ziemlich bestimmt. Vielleicht dass sich die gegenwärtig etwas drückende Lage etwa bessert und es besser ist etwas anzufangen als jetzt, oder vielleicht würde man auch eine rechte Stelle bekommen, aus der sich, mit dem hier verdienten Gelde dazu, auch leben lassen würde. Ob es dann so kommt, wissen wir eben noch nicht, es wird sich mit der Zeit alles zeigen. Wir wollen nun alles nehmen wie es der Herrgott uns schickt, es kommt alles wie es muss. Und nun genug für heute über diesen Punkt. Ich hoffe, mein Liebchen, dass Du mich in allem so ziemlich verstehen kannst.

Von Marie habe ich also wie ich Dir im andern Briefe geschrieben auch Bericht erhalten. Es war nicht grad alles freudige Nachricht, hoffe aber, dass Franz die Operation gut überstanden hat und die Bekanntschaft von meiner Schwester sich mit der Zeit zufriedenstellend gestalten wird. Es hat mir nun zwar auch geschrieben, dass es noch Papier habe,10 aber ich habe ihm nun auf Neujahr doch noch ein extra Zettelchen beigelegt, damit es das neue Jahr auch mit einem frohen Herzen beginnen kann. Marie wird Dir dann schon etwa sagen, wie es ausgesehn hat, im Falle Du noch daheim bist, denn wie Du ja schreibst, möchtest Du auf eine Winterstelle gehn, wozu ich Dir recht viel Glück wünschen möchte.

Dass es am Aufiberg Ausschiesset gemütlich zugegangen ist, kann ich Dir gut glauben. Ich war selber auch in diesem Verein und das Iibriger Völklein ist mir sonst sehr lieb. Du dürftest vielleicht wissen, dass Föhn zur Wirtschaft ein Bruder war von meiner lb. Mutter selig - s'Lenis Franz wird Dir auf dem Heimwege schon alles erzählt haben. Wenn es mein Cousin in Aufiberg, der Franz (es ist der jüngere von beiden) gewusst hätte, dass wir Bekanntschaft führen, hättest gewiss einige "Spicke" erhalten. Er war, ich darf schon sagen, in der Heimat mein bester und vertrautester Freund, den ich hatte. Denke aber kaum, dass er von unsern Beziehungen weiss. Wissen s'Lenis Buben überhaupt etwas davon? 11

Dass Du von andern auch schon oft liebe Blicke und warme Worte erhalten hast, kann ich Dir schon gut glauben. Es werden Dich und Dein so schöner Charakter andere auch zu schätzen wissen und ich schätze mich immer glücklich, einem solchen Mädchen meine aufrichtige Liebe entgegenbringen zu dürfen und Dich als meinen Schatz zu betrachten. Ich bete ja auch jeden Abend, dass der Herrgott unsere Liebe und Treue zueinander immer vermehre, bis uns einst ein Wiedersehn beschieden ist.

Der Husten und "Pfnüsel" habe ich schon längstens wieder verloren und befinde mich nun immer gesund und munter, habe momentan zwar etwas "blauen". Dein lb. Brieflein bekam ich gestern abends 6 Uhr in die Hände und fing dann gestern abend daran zu schreiben, wie lang sage ich nicht, aber am 1½ Uhr musste ich wieder auf um die 30 Kühe zu melken und meine Arbeit zu machen. Jetzt ist es 9½ Uhr vormittags, aber der Brief muss fertig sein, damit er am Nachmittag fort geht und Du ihn, wie ich denke, noch vor Neujahr erhalten kannst. 12

Du wirst schon etwa Zeit finden am Neujahrstag zum Lesen. Ich finde es zwar selber fast verrückt, auch einmal so viel zu schreiben, es ginge gewiss viel besser bei Dir daheim im warmen Stübchen auf dem Kanapee mit erzählen, als es hier in meinem Zimmer mit fast frierenden Fingern und schlechter Feder zu schreiben. Ein "ärfligs Brustthee" würde gewiss auch nicht ausbleiben. Und dann könnte man noch einmal Deinen Namenstag feiern oder ich könnte Dir wenigstens Glück wünschen dazu, was ich sonst den ganzen Sommer durch schriftlich habe machen wollen, aber dann leider doch vergessen habe bis er fast vorbei war. Du wirst mir aber verzeihen.

Nun will ich aber einmal schliessen und mich noch etwa zwei Stunden aufs Bett legen, sonst bin ich nachmittags nicht gar "prütsch" zum Melken. Ich hoffe also gern, dass Du mir in diesem Briefe nichts für Übel nehmen wirst, er ist wahrheitsgetreu und ehrlich gemeint und ich hoffe gern, dass Du, mein Liebstes mich in allen Dingen etwa verstehen wirst. Und nun noch einmal die besten Glück- und Segenswünsche nebst vielen herzinnigen Grüssen und Küssen von Deinem treuen

                                  Louis

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