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Lincoln, den 7. Jan. 1928

Mein Herzliebchen!

Zum ersten Mal in diesem Jahre will ich zur Feder greifen, um Dein so lb. Brieflein, das ich mit grosser Freude und herzinnigem Dank erhalten habe, zu beantworten. Meine kurzen auf Neujahr geschriebenen Zeilen wirst Du nun auch erhalten haben, wie das Brieflein an Deine lb. Eltern auch eingetroffen sein dürfte.

Weihnachten und Neujahr sind nun vorüber und ich habe nicht viel gemerkt davon. An Weihnachten waren wir zwar eingeladen gewesen, nach dem Melken in das Haus vom Meister zu kommen um da hl. Abend zu feiern. Wir sind aber gewöhnlich so um 10 Uhr fertig. Es lag uns nicht grad viel daran zu gehen, da wir mit den Weibsleuten nicht viel sprechen, da sie unsere Magen nicht immer nach Wunsch mit Gutem befriedigen. Um aber nicht grad Anlass zum „Grindä“ machen zu geben, wollten wir der Einladung doch Folge leisten und zogen unsere Sonntagskleider an. Es fing dann aber an zu regnen, nass wollten wir auch nicht werden und da sie uns 2 mit dem Auto nicht holten, blieben wir daheim und hatten am anderen Tage eine gute Ausrede. Wir bekamen dann am anderen Tage Lebkuchen und Sachen zum Rauchen. Das Haus vom Meister ist etwa 5 Minuten von dem Stall weg. Nächst diesem befindet sich ein kleines Gebäude, das als Schlafplatz immer für uns dient und noch ein anderes Häuschen  wo wir essen. Für die Arbeiter haben sie eine Köchin. Der andere Melker ist nun letzten Samstag fort und neben mir melkt nun wieder ein Abegg von Rothenturm. Wie lange ich noch hier bleibe, ist ungewiss und glaube ich, bin ich die längste Zeit hier gewesen. Allerdings, wenn es nun alle morgen Eier gebe wie heute zum ersten Mal und wie es in Amerika fast überall Mode ist, könnten diese mein Dasein wieder verlängern. Es ist hier nicht grad schlechte Kost, aber fast immer das gleiche und würde man etwas mehr Abwechslung wünschen. Auch ist es nicht gerade übermässig streng und der Lohn so gleich wie überall um Sacramento herum. Dann ist es auch die englische Sprache, was mich noch etwas zurückhält, in dem ein Feldarbeiter und die Köchin Englisch sprechen und nun in den drei Monaten mehr Englisch gelernt habe, als in den 9 zuvor, wo ich immer bei Schwyzern war. 3

Und nun von anderem. Wie ich in Deinem letzten lb. Briefe so durch die Zeilen gelesen habe, hat meine Frage wegen dem Marie bei Dir fast den Anschein erweckt, als ob unser Briefwechsel und unsere Bekanntschaft meiner Schwester ein Geheimnis bleiben müsste. Nun ist dieses aber nicht der Fall, sondern es ist mir im Gegenteil recht, wenn sie davon weiss. Deine Fragen will ich nun wahrheitsgetreu beantworten und bin ich froh, dass Du mich selbst um Auskunft gefragt hast, da ich Dir solche am besten selber geben kann. Es ist nun schon lange her, dass wir im Schäfli zum ersten Mal miteinander tanzten. Bald darauf bist Du mir an einem Sonntagnachmittag in Begleitung Deiner lb. Mutter begegnet (es war auf dem Sonnenplatz) und hast da mein “Gutt Tag” mit Freundlichkeit erwidert. Du wirst Dich kaum mehr an das erinnern. Später haben wir uns noch oft im fröhlichen Kreise gedreht und immer ruhten meine Augen gern auf Deinem lieben Gesicht und mein Sinn weilte oft bei Dir. Aber ich durfte Dir nichts dergleichen tun, warum weisst Du und dann sagte man mir auch, dass Du mit einem anderen im Bekanntschaft seiest. Es kam dann der Tag, wo ich von meinen Lieben für längere Zeit 4 Abschied nehmen musste, um mein Brot in Frankreich zu verdienen. Am Abend vorher sassen meine Schwester Marie, s’Leni Marie und ich noch lange in traulichen Gespräch beisammen und es kam da allerlei zur Sprache unter anderem auch die Lieb- und Bekanntschaften. Du musst eben wissen, dass wir drei nie ein Geheimnis hatten voreinander und einander schon von frühester Jugend alles anvertrauen konnten. S‘Leni Marie fragte mich dann auch, bei was für einem Mädchen ich heute Abend wohl am liebsten auf wäre. Sie waren dann auch etwas überrascht, als ich Dich nannte, denn vorher hatte ich nie etwas gesagt von Dir. Am andern Tag bin ich schon früh fortgefahren in ein fremdes Land. Meine Gedanken weilten dann noch oft bei meinem lb. Käthy und eher hätte ich damals an den Tod gedacht als an die Bekanntschaft, die wir nun seit einem Jahre halten. In Frankreich bekam ich dann immer mehr Amerikagedanken und ich meldete mich an. Ende August konnte ich in Strassburg mein Visum holen, welchen Anlass ich dann benützte, einige Tage in die Heimat zu gehen. Zufällig war dann in der „Erle“ in Ibach der Eröffnungstanz, welchem ich auch beiwohnte. 5 Ich ging dann am Morgen mit einem Mädchen (Gritli Lüönd vom Salach, es dürfte Dir bekannt sein) heim. Dieses Mädchen hatte ich an der Schönbächler Kilbi vor zwei Jahren kennengelernt und es dann an der Abrechnung heim begleitet. Am Tanz in Ibach sagte es dann, dass ich ihm von Frankreich aus einmal schreiben solle, was ich auch getan habe. Das Mädchen hat mir nicht schlecht gefallen und ich bin in dem Monat als ich von der Amerika-Reise daheim war, noch oft bei ihm gewesen. Ich habe auch den letzten Abend bei ihm zugebracht. Allerdings wäre ich viel lieber bei Dir auf gewesen, das wissen auch meine Schwester und Leni‘s Marie und der Melk. Aber ich wusste weder Weg noch Steg und fragen, wo Käthy Betschart daheim sei, ist auch nicht eine gute Sache, zumal ich nicht wusste, ob ein Besuch bei Dir gelegen gewesen wäre. Am Klaustag hattest Du mir zwar Hoffnung gegeben und ich hätte Dich damals auch sehr gern heimbegleitet und ich hätte Dich auch gefragt dafür, aber wir wollten an jenem Abend die ganze Familie zusammen in gemütlicher Stimmung Abschied feiern, an welchem Anlass auch der Schatz vom Marie, Karl Lindauer, teilnahm und mein Vater und dieser es empfunden hätte, wenn 6 ich ferngeblieben wäre. Es ist nun nicht grad rühmenswert wie ichs dem Gritli gemacht habe, aber Du darfst es auch wissen, es ist ja alles aus Liebe zu Dir geschehen. Von Bologne (FR) aus sandte ich ihm eine Karte als letzten Gruss von Europa. In Ferndale schrieb ich Dir dann den ersten Brief und als ich von Dir eine so freundliche Antwort erhielt, schrieb ich ihm einfach ab, mit der Begründung, dass wir zu weit voneinander entfernt seien und es besser sei, wenn wir unsere Bekanntschaft aufgeben. In seinem nächsten Briefe gab es mir zu wissen, dass es solches von mir nicht erwartet hätte, gab aber der Hoffnung Ausdruck, dass ich den Briefwechsel doch weiterführe, was dann aber unterblieben ist. Meine Schwester hat nun nie etwas geschrieben wegen unserem Verhältnis, als dass ich mich auf die Viehausstellung wohl für einige Stunden ins Schäfli wünschen würde um einige Restli mit K. zu tanzen. Auf Neujahr schrieb mir nun s‘Leni Marie einen Brief, worin es mich anfragte, ob ich die Liebschaft mit Gritli meinem Onkel Melk abgetreten habe und ich werde jedenfalls noch hie und da ans Gritli denken, aber wohl mehr an Dich. Der Melk könne meinen Posten ganz gut vertreten, in dem er s‘Gritli an allen Tanztagen heimbegleitet 7 habe. Mehr hat es nicht geschrieben, aber man ist fast versucht zu glauben, dass es noch einen „Schick“  geben könnte. Meine Schwester macht auch immer mehr am Heiraten herum und müssen meine Onkel Melk und Franz doch eine Haushälterin haben, wenn Marie diesen ernsten Schritt des Lebens wagen würde. Du kannst nun aus obigem gut genug selber wahrnehmen, dass unsere Daheim an unsere Bekanntschaft glauben müssen, auch wenn ich nie ein Sterbenswörtli geschrieben habe von unserem Verhältnis. Ich glaube nur, dass Du alles verstehen wirst, was ich da geschrieben habe.

Allerdings bin ich nun in einer etwas peinlichen Lage mit Antwort geben auf den Brief von Leni‘s Marie. Ich wünsche natürlich auch nicht, dass unsere Bekanntschaft auskommt, aber dass es Leni‘s Marie und meine Schwester davon wissen, wäre mir doch erwünscht. Es ist mir nun aber nicht gut möglich, es ihnen selbst zu schreiben, da meine Briefe von mir fast von allen im Hause gelesen werden. Ich möchte dich nun bitten, es den beiden Marie selber zu sagen, wie unser Verhältnis steht. Du musst ihnen dann aber sagen, dass ich sehr wünsche, dass sie niemandem, auch gar niemandem etwas sagen dürfen davon und ich bin und auch Du darfst versichert 8 sein, dass sie den Mund halten können. Ich kenne sie für das gut genug. An Leni‘s Marie werde ich schreiben, dass es auf seine Frage auf anderen Wegen Antwort erhalten wird. Du kannst ihm aber sagen, dass ich ihm später selbst mehr schreiben werde, wenn meine Briefe nur von ihm gelesen werden und nicht in andere Hände kämen. Verstehst Du dies nun alles, mein Liebchen?

Mein Leben in hier verläuft fast immer so im gleichen und weist wenig Gemütlichkeit auf. Aber die Hauptsache ist, wenn man immer gesund ist, was ich gottlob melden kann. Ich muss nun in den nächsten Tagen auch wieder heim schreiben und werde dann meiner Schwester ein kleines Hochzeitsgeschenk beilegen, es wird dieses früher oder später schon etwa brauchen können. Verdient hat sie eins, denn sie hat auch immer schön für unsere kleinen Geschwister gesorgt und hat unserer Familie durch ihr Verhalten, den so schönen Familienzusammenhalt behalten. Ich komme nun, mein liebes Käthy zum Schlusse und ich hoffe, dass Du mich in allem verstehen wirst und mir nichts für Übel nimmst. Lege dir wieder einige Bildchen bei.

Und nun mein liebes Käthy, mögen Dich diese Zeilen in gesunder Stimmung antreffen, bete immer etwas für mich und empfange viele herzinnige Grüsse und Küsse von Deinem fernen, aber treuen

                                  Louis Ehrler

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