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Tracy, den 8. Sept. 1927

Lieb Werthe Käthe!

Trotz späteren Abendstunden und ziemlicher Müdigkeit setze ich mich in meinem einsamen Zimmer nieder um Dir einige Worte zu schreiben. Aber was soll ich schreiben? Schon sind drei Monate verflossen, seit ich Dir das letzte Brieflein mit vier Bildchen gesandt habe und nie wollte mehr ein so schönes Brieflein von meiner lieben Käthy ankommen. Ich kann das nicht recht begreifen und noch weniger kann ich die Ursache finden. Soll ich Dich doch durch irgendetwas beleidigt haben? Ich könnte mich dessen nicht erinnern. Es ist da eher ein Brief verloren gegangen. Habe soeben Deine drei so schönen lb. Briefe, die ich fast auswendig kann, noch einmal durchgelesen und lange habe ich in Deine Augen auf Deinem Bildchen geschaut und ich kann gar nicht glauben, dass Du mich nun auf einmal vergessen hast und Deine Gedanken nie mehr in die weite Ferne gehen, wo sich ein Dich liebendes Herz befindet. Oder was soll unserer ehrlichen Bekanntschaft auf einmal in den Weg gekommen sein, dass Du mich mit Schreiben im Stiche lassen solltest. Ich kann das aber nicht recht glauben, denn Dein schöner Charakter, der mir in der lb. Heimat immer so gut gefallen und den ich erst durch 2 Deine so schönen Briefe recht kennen gelernt habe, verbietet Dir das zu tun. Ich muss annehmen, dass Du auf alle Fälle schreiben würdest, entweder so oder anders weiter, oder ob im Falle es einen Riss in unserer Bekanntschaft gegeben hätte. Oder kannst Du das tun, ein junges Männerherz, das Dich mit Innigkeit liebt und dem Du mit Gegenliebe geantwortet hast in der fernen Welt leben zu lassen ohne mit einem Zeichen mehr zu antworten? Ich kann das von Dir nicht gut glauben, sondern nehme viel eher an, dass da ein Brief von mir oder dann von Dir verloren gegangen sein muss. Den letzten Brief habe ich anfangs Juni abgeschickt.

Doch nun kurz etwas von meinem jetzigen Befinden. Das Leben geht immer so gleichmässig vorwärts. Gegenwärtig bin ich immer noch beim Suter, aber es gefällt mir nicht mehr recht. Der Meister fährt alle Tage zweimal mit der Milch ins Dorf und während seiner Abwesenheit will die Frau dann immer in die Arbeit vergiessen, was sie selber nicht versteht und ich nicht recht leiden kann. Werde jedenfalls bei passender Gelegenheit den Platz wieder ändern. Sonst bin ich immer gesund, was ich von Dir und Deinen Lieben auch gern hoffe.

Liebes Käthy, ich will schliessen. Dieses Brieflein ist zwar etwas kurz ausgefallen und werde Dir gern ein anderes Mal wieder mehr schreiben, aber zuerst würde ich gern, sehr gern etwas von Dir lesen. Bitte, erfülle doch meinen Wunsch und lass mich nicht so im Unklaren leben. Gib mir Antwort auf 3 diese Zeilen und schreibe, was für einen Grund es ist, dass ich auf mein letztes Brieflein keine Antwort erhielt.

Nimm mir diesen vielleicht etwas ernsten, aber aus Herzen kommenden Brief nicht etwa Übel auf, sondern empfange ihn als einen frohen Gruss von einer lieben Seele, die Dich mit Innigkeit liebt und in der weiten Ferne auch ein freundliches Zeichen von seiner Liebsten erwartet. Und nun möge während dieser Zeit Dich und mich der lb. Gott behüten und empfange viele herzliche Grüsse und Küsse von Deinem treuen

Louis Ehrler

 

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NB die Post erhalte ich natürlich gleich, wenn ich die Stelle schon wechseln würde.

                                  Alois Ehrler

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